27.05.2019

Lastenräder – Einmal umsteigen, bitte!

Wer ein Lastenrad hat, braucht kein Auto mehr. Gesagt ist so was schnell, doch wie sieht das im Alltag tatsächlich aus? Wir haben in der Redaktion den Härtetest gemacht.

"Also mit so einem Lastenrad – da bräuchte ich kein Auto mehr“, posaune ich locker flockig in der Redaktionskonferenz. Dumm nur, dass die Kollegen zuhören. Noch schlimmer, dass sie mich beim Wort nehmen. Drei Wochen später überraschen sie mich mit einer E-Mail, drin steht: „Du kannst dein Lastenrad morgen abholen.“ Puh, es ist Anfang April, die Wetter-App hatte mich heute Morgen noch vor Bodenfrost gewarnt und ich war ganz glücklich über Sitz- und Lenkradheizung.

Nützliche Tipps zum Start

Was solls? Wer große Sprüche klopft, muss auch mit den Konsequenzen klarkommen. Am nächsten Tag steh ich also beim Fahrradhändler und bekomm noch ein paar gut gemeinte Tipps mit auf den Weg, zum Beispiel: „Gewöhnen Sie sich an die Länge, schalten Sie nicht unter Last und setzen Sie in Stuttgart lieber einen Helm auf!“ Doch zur Wahrheit gehört eben auch, dass ich im vergangenen Jahr nicht mal zwanzig Kilometer mit dem Rad gefahren bin. Meine Erfahrungen mit einem Lastenrad sogar schon über zehn Jahre her sind. Damals war es noch ein klassisches Bäckerrad: Also mit kleinem Rad vorn, normaler Länge, Ladefläche über dem Vorderrad und ohne Gangschaltung. Schnell vorankommen: schwierig. Doch komfortabler konnte man die Bierkisten während dem Studium nicht zum Späti fahren.

Gewicht und Größe des Lastenrades sind eine Herausforderung

Im trubeligen Fahrradladen zeigt sich dagegen schnell die erste Schwierigkeit: Wie komm ich hier überhaupt raus? Das uns zur Verfügung gestellte Lastenrad, ein Load 75 des deutschen Herstellers Riese und Müller (R&M), ist über 2,60 Meter lang, fast 60 Zentimeter breit und wiegt mit beiden Akkus, die sich am Rad oder in der Wohnung laden lassen, mehr als 40 Kilogramm. Allein das Rad vom Ständer herunterzuwuchten, dürfte den einen oder anderen schon überfordern. Ich schnaufe, lasse mir meine Anstrengung aber nicht anmerken. Doch dann folgt der Ausparkvorgang: Weil ich in den folgenden Tagen noch unseren Sohn zur Kita fahren werde, sind Wetterschutz und Kindersitze schon verbaut. Doch so konfiguriert sieht man das Vorderrad nicht mehr. Noch im Laden bleibe ich deshalb zwei, drei Mal an Ständern und Pedalen anderer Räder hängen. Die ersten Runden drehe ich daher erst mal alleine und ohne Beladung.

Mit dem Lastenrad darf man Fahrradwege nutzen

Weil das erstaunlich gut klappt, folgt der erste Härtetest auf dem Weg ins Büro: Los gehts in der Innenstadt. So wackelig wie ich auf den ersten Metern unterwegs bin, freue ich mich, dass alle anderen nachsichtig fahren und mich wie einen sturzgefährdeten Fremdkörper behandeln. Wenig später rettet mich die Fahrradstraße. Von da aus geht es auf dem Fahrradweg durch den Park und am Neckar entlang. Denn auch wenn das Fahrrad fast so lang ist wie ein Smart, Fahrradwege dürfen Lasten-Radler natürlich nutzen.

Viel Fahrspaß, sobald man den Dreh raus hat

Am Ende der ersten Fahrt geht es noch einmal steil den Berg hinauf. Schnell zeigt sich, dass vor allem das Anfahren gewöhnungsbedürftig ist: Bis etwa acht km/h bleibt das Fahrrad kippelig. Doch je schneller ich fahre und je mehr Gewicht ich in den kommenden Tagen einlade, desto stabiler wird es. Schon nach wenigen Kilometern hat man den Dreh raus und sich an die Länge und die aufrechte Sitzposition gewöhnt. Lediglich Pfosten und Zickzack-Gitter auf Radwegen bleiben ein Problem, weil man jedes Mal auf Schrittgeschwindigkeit verlangsamen muss. Immerhin fällt das Beschleunigen danach leicht: Der Elektro-Motor von Bosch (Performance Line CX) stemmt 75 Newtonmeter auf die Tretkurbel, zum Vergleich: Beim Golf I Benziner waren es gerade mal 77.

Auch bergauf ist man sportlich unterwegs

Trotz des großen Drehmoments ist frühzeitiges Schalten wichtig. Das merke ich, als ich plötzlich an einer Ampel halten muss und im kleinsten Ritzel der 11-Gang-Kettenschaltung zum Stehen komme. Da hilft auch die stärkste Unterstützungsstufe „Turbo“ nicht weiter. Immerhin gibt sie dann 300 Prozent zur eigenen Trittkraft hinzu. Voll beladen schmilzt am Berg auch die Reichweite schnell dahin. Auf ebener Strecke sind dagegen über 100 Kilometer kein Problem. Dann ermöglicht der starke Motor auch ein sehr sportliches Anfahren. Wer Schwung aufgenommen hat, hängt selbst am steilsten Berg problemlos athletische Fahrer mit Rennrad ab, zumindest bis 25 km/h – denn darüber schaltet sich der Motor komplett ab.

Die Beine sind schneller müde als der Akku

Der Strom dafür kommt aus zwei Akkus mit insgesamt 1000 Wh. An einem Sonntag fahre ich damit über 100 Kilometer. Noch bevor die Akkus schlapp machen, sind meine Knochen müde. An der Sitzposition liegt es nicht: Zwar gibt es nur eine Rahmengröße, aber da Lenker und Sattel verstellbar sind, findet wohl jeder eine angenehme Sitzposition. Eher strengt das Gewicht an. Trotzdem erschleicht sich das Rad in den kommenden Tagen einen festen Platz in meinem Alltag: Egal ob zum Altglas-Container, ins Schwimmbad, zum Markt oder in die Gärtnerei – kein Weg ist zu weit, kein Ladegut zu groß oder schwer, immerhin dürfen 100 Kilogramm auf die Ladefläche.

Das Fazit: Schnelle, aber recht teure Schönwetter-Alternative zum Auto

Ein rundum gelungener Autoersatz also? Auf jeden Fall, zumindest im Alltag und bei halbwegs tauglichem Wetter. Denn im Büro war ich genauso schnell wie mit dem Auto, der Kreislauf schon in Schwung und ein kleines Fitnessprogramm an der frischen Luft inklusive. Ein Manko bleibt der Preis: Das Load 75 kostet „nackt“ 5600 Euro. Bei uns kommen Zweit-Akku (900 Euro), hohe Seitenwände mit Kinderverdeck (500 Euro), drei Kindersitze mit Gepäckablage vorne (460 Euro), Zusatzkette fürs Schloss (50 Euro) und Gepäckträger (130 Euro) dazu. Macht über 7600 Euro. Günstige Alternativen fangen bei etwa 4000 Euro an. Ohne Antrieb sind sie zwar günstiger, aber bequem nur auf ebenem Gelände zu fahren. Wer ein Lastenrad einfach mal ausprobieren möchte, muss es nicht gleich kaufen: In immer mehr Städten kann man die praktischen Transporthilfen leihen. Viele haben Namen, zum Beispiel „Klara“ in Hamburg, „Kasimir“ in Köln oder „Daniel“ in München. In Stuttgart kann unter anderem der „Fritz-Blitz“ geliehen werden, hier kommen die zehn Lastenräder direkt von der Deutschen Bahn. In Freiburg gibt es mit LastenVelo Freiburg sogar einen kostenlosen Verleih. Als Alternative kann man auch ein Pedelec mit Fahrradanhänger kombinieren, damit fast genauso viel transportieren und ist im Alltag viel flexibler.

Die wichtigsten Lastenrad-Typen im Überblick

  • „Long Johns“ sind Lastenräder mit Ladefläche vorne. Vorteile sind die große, ebene Ladefläche, eine hohe Zuladung. Sie bieten einen bequemen, sicheren Sitzplatz für Kinder und überzeugen durch ein sehr stabiles Fahrverhalten bei hohem Tempo. Allerdings haben „Long Johns“ einen großen Wendekreis, sind sperrig und anspruchsvoll beim Fahren. Angeboten werden sie unter anderem von Bakfiets, Prophete, Riese & Müller, Urban Arrow und Yuba. Die Preise für die Varianten mit E-Motor fangen bei etwa 4000 Euro an.
  • „Longtails“ haben einen verlängerten Radstand hinten – für schweres Gepäck oder bis zu zwei Kinder. Bei vielen ist auch noch Platz für einen Zusatzträger an der Vorderachse. Longtails sind kompakt gebaut, bieten eine gute Übersicht nach vorne, sind variabel nutzbar und oft günstiger als die Long Johns. Jedoch haben sie keine ebene Ladefläche und fahren sich weniger stabil. Der Transport von Kindern ist weniger sicher als im Hänger oder in der Wanne. Anbieter: unter anderem Riese & Müller, Tern, Yuba, Preis: ab ca. 3000 Euro.
  • Dreiräder werden häufig von Lieferdiensten eingesetzt, doch auch für Privatpersonen ist das Angebot groß. Sie lassen sich auch beim Anfahren und in Kurven sicher bewegen, haben eine große Zuladung und bieten eine bequeme, sichere Sitzmöglichkeit für Kinder. Allerdings sind sie durch ihre Breite und ihr hohes Gewicht bei niedrigem Tempo schwer zu manövrieren. Dreiräder sind unter anderem im Portfolio von Babboe, Butchers & Bicycles, Christiania Bikes und Winther zu Preisen ab ca. 2700 Euro.

ACE-Tipp: Fahrrad-Pannenhilfe in allen Tarifen

Die Pannenhilfe ist die Kernkompetenz des ACE – in allen Mitgliedschaften nicht nur für Ihr Auto, sondern auch für Fahrräder, E-Bikes und Pedelecs (ausgenommen S-Pedelecs). Natürlich umfasst der Fahrrad-Schutzbrief auch Lastenräder! Weitere Infos finden Sie auf der ACE-Internetseite.