24.11.2020

Autonomes Fahren – Das Roboter-Auto schläft noch

Beim autonomen Fahren ist die Technik weiter, als es Gesetze erlauben. Der Mensch im Cockpit muss noch die Kontrolle behalten. Autoherstellern ist das ganz recht – auch aus ethischen Gründen.

Eine Limousine fährt vor. Der Fahrer steigt aus und tippt ein paarmal aufs Smartphone. Dann passiert etwas, das man gemeinhin mit der berühmten Geisterhand umschreibt: Das Auto setzt sich fahrerlos wieder in Bewegung und verschwindet im Parkhaus.

Einparken wie von Geisterhand

Das hochkomplexe System, das den Parkdienst (Valet Parking) automatisiert, wird erstmals in der neuen Mercedes S-Klasse verfügbar sein. Das Modell der Oberklasse stellte der Stuttgarter Hersteller im Herbst vor. Und wenig später wurde gleich vorgeführt, wie der „Intelligent Park Pilot“ funktioniert – in einem mit Kameras und WLAN ausgerüsteten Parkhaus am Flughafen Stuttgart.

Weltweit bestehen große Unterschiede in der Gesetzgebung

Aber es handelt sich um eine „schlafende Funktion“. „Aktuell kann der Kunde das System noch nicht nutzen“, sagt Bernhard Wardin, Pressesprecher für autonomes Fahren bei Mercedes. Der Grund: Es entspricht dem vierten einer in fünf Levels definierten Klassifizierung der amerikanischen Normierungsorganisation Society of Automotive Engineers (siehe Galerie) zum autonomen Fahren. Allerdings fehlt den Stufen 3 bis 5 noch eine geltende Rechtsgrundlage. „Gegenwärtig befinden wir uns noch auf Stufe 2“, sagt ACE-Rechtsexpertin Yasmin Domé. Die weltweit liberalste Gesetzgebung gilt im US-Bundesstaat Arizona, wo Google-Tochter Waymo in einem Testareal Passagiere mit Robotertaxis befördert. Doch Deutschland will sich nach dem Fehlstart bei der E-Mobilität nicht noch einmal vorführen lassen.

In Deutschland sollen die ersten autonom fahrenden Autos im Alltag unterwegs sein

„Deutschland wird Weltspitze beim autonomen Fahren. Dafür machen wir Tempo“, sagt Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). In Planung ist ein neues Gesetz zum autonomen Fahren, das Mitte 2021 beschlossen werden soll. „Damit würde Deutschland der erste Staat weltweit, der Fahrzeuge ohne Fahrer aus der Forschung in den Alltag holt“, heißt es in einem Papier des Bundesverkehrsministeriums (BMVI).

Mobileye testet Robo-Autos in München

Schon 2022 sollen Fahrzeuge mit autonomen Fahrfunktionen in den Regelbetrieb gehen – etwa als fahrerloses On-Demand-Shuttle (Fahrdienst auf Abruf) oder Personen-Transporter für die letzte Meile. Einen Vorgeschmack gibt eine Flotte umgerüsteter Ford Fusion, die der israelische Spezialist für Roboterautos und Intel-Ableger Mobileye mit Sondergenehmigung in München testet.

Die deutschen Autohersteller sind für Level 3 gerüstet

Bereits Anfang 2021 dürften Level-3-Systeme scharf gestellt werden, die es dem Fahrer erstmals erlauben, sich während der Fahrt einer Nebentätigkeit zu widmen – Zeitung lesen, Mails checken. Drive Pilot oder AI Staupilot nennen Mercedes und Audi ihre Entwicklungen, die das Auto auf Straßen mit baulich getrennten Spuren hochautomatisiert bis Tempo 60 fahren lassen. Auch BMW ist mit einem eigenen System gerüstet. Nach BMVI-Angaben tritt die erforderliche technische Vorschrift, von der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UNECE) erarbeitet, Anfang 2021 in Kraft.

Level 5 scheint bisher in weiter Ferne

Zwar können diese Automated-Lane-Keeping-Systeme (ALKS) dann genutzt werden – jedoch nur bis zu 60 km/h. Die Industrie drängt auf eine Genehmigung für 130 km/h. Beim vollautonomen Fahren drücken die Autohersteller jedoch eher auf die Bremse. „Level 5 halten wir für ein sehr ambitioniertes Ziel. Per Definition würde das eine Integration aller denkbaren Szenarien – alle Straßentypen und Umfeldbedingungen, international über alle Ländergrenzen hinweg, ohne jeglichen Eingriff des Fahrers – bedeuten“, sagt Audi-Technologie-Sprecher Udo Rügheimer. Und Mercedes-Sprecher Wardin meint: „Bei der Stufe 5 kann man schnell philosophieren, ob diese überhaupt erreicht werden kann.“ Auch Jürgen Pieper, Autoanalyst vom Bankhaus Metzler, beobachtet Entwicklungsschwierigkeiten.

Vollautonomes Fahren könnte vor allem für Shared-Mobility-Angebote attraktiv sein

„Wir hatten ja Thesen, die sagten, dass wir 2025 die absolut autonomen Autos auf der Straße haben, das glaubt heute niemand mehr.“ Dass sich BMW und Daimler aus der Sharing-Sparte zurückziehen und offenbar den Verkauf der gemeinsam betriebenen Mobilitätstochter FreeNow an den US-Fahrdienstvermittler Uber anstreben, wertet der Automobilexperte Stefan Bratzel, Professor für Automobilwirtschaft an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach, als „ganz aktuelle Trendwende“. Denn vor allem im Bereich der Shared Mobility sieht Bratzel lohnende Geschäftsmodelle fürs autonome Fahren.

Automatisierte Shuttles als praktische Ergänzung zum ÖPNV

Während Level-5-Fahrzeuge für Privatleute („Ownership“) zu teuer sein dürften, könnte gerade die Investition in intelligent vernetzte Flotten lohnen. Verzahnt mit Bus und Bahn könnten automatisierte Shuttles den ÖPNV optimieren und die Zahl der privat zugelassenen Autos in Städten senken, Transportkosten würden sinken. Professor Bratzel geht davon aus, dass Robo-Taxis als kommerzielle Dienstleistung Ende der 2020er-Jahre verfügbar sind. Analyst Pieper schätzt jedoch, dass Level 5 vielen Autofahrern nicht gefallen werde: „Das Gefühl, das Schicksal selbst in der Hand zu halten, ist weg.“

Haftungsfragen sind noch nicht geklärt

Auch Haftungsfragen sind offen. „Gegenwärtig haftet der Fahrzeugführer neben dem Halter und dem Kfz-Haftpflichtversicherer stets für Schäden Dritter, wenn dieser oder der Halter für den Schaden zu verantworten sind“, sagt ACE-Rechtsexpertin Domé. Doch was, wenn es keinen Fahrer mehr gibt oder der auf der Autobahn Zeitung liest? Wann eine Freistellung der Haftung für den zum Passagier gewordenen Fahrer erfolgen soll, ist laut Domé rechtlich noch nicht geklärt.

Kann ein Auto moralische Entscheidungen treffen?

Und ein ethisches Dilemma besteht: Was passiert, wenn Autos im Robo-Modus bei unausweichlichen Unfällen zwischen Leben abwägen müssen? Eine von der Bundesregierung eingesetzte Ethikkommission kam zu dem Schluss, dass solche dilemmatischen Entscheidungen nicht „ethisch zweifelsfrei programmierbar“ seien, weil sie von „unberechenbaren“ Verhaltensweisen Betroffener abhängig seien. Die Systeme müssten so ausgelegt sein, dass kritische Situationen gar nicht erst entstünden. Um Totalausfälle der Systeme unwahrscheinlich zu machen, legen die Hersteller diese schon länger technisch redundant aus – nicht nur Kameras passen auf, sondern auch Radar und zahlreiche Sensoren von Ultraschall bis Lidar; hinzu soll die Vernetzung über WLAN oder 5G kommen. Das Auto sammelt also ständig Daten – mehr zu diesem Thema finden Sie auch in unserem Artikel "Datenschutz im Auto? Fehlanzeige!".

Autonomes Fahren als Weg zu "Vision Zero"

„Das ethische Grundproblem wird bleiben“, sagt Automobilexperte Bratzel, in der Praxis sei es aber nur in Extremsituationen zu erwarten. Man müsse aufpassen, „die gesellschaftlichen Vorteile“ nicht zu zerreden. Denn die Kontrolle an den Computer abzugeben, ist angesichts menschlicher Fehlbarkeit auch mit der Aussicht verknüpft, die Unfallzahlen in Zukunft drastisch zu senken, ein Anliegen, für das die Branche den Begriff „Vision Zero“ verwendet. Also null Verkehrstote als erstrebenswerter Idealzustand.

„Neun von zehn Unfällen passieren, weil Menschen Fehler machen. Meist, weil sie abgelenkt sind. Selbstfahrende Autos werden dagegen von einem Computer gesteuert. Der lässt sich nicht ablenken oder wird müde“, sagt Bundesminister Scheuer. Ihm zufolge steht ein großer Wandel bevor.

Das fordert der ACE

Rechtssicherheit ist eine wichtige Voraussetzung für das autonome Fahren. Der ACE fordert, haftungs- und versicherungsrechtliche Fragen schnell zu klären. Wann eine Freistellung der Haftung für den Fahrer erfolgen soll, ist derzeit noch unklar. Wichtig sind ebenfalls: einheitliche gesetzliche Regelungen zum Datenschutz, darunter die jederzeitige Hoheit des Nutzers über private Daten, der Ausbau digitaler Beschilderungen, intelligenter Ampeln sowie des 5G-Netzes.