25.10.2023

Chinesische Autos – Noch ohne großen Preisvorteil

Die chinesischen E-Autos sind in Europa angelandet. Statt als billige Alltags-Stromer aber meist in Form teurer Premium-Modelle. Doch das dürfte nur der Anfang sein.

Den chinesischen Autoherstellern wird seit Jahren zugetraut, den europäischen Markt aufzurollen. Nun kommen ihre Pkw erstmals in relevanter Zahl auf deutsche Straßen. So billig wie viele gehofft oder befürchtet haben, sind die Autos aus dem Reich der Mitte aber nicht. Das hat verschiedene Gründe – und könnte sich ändern.

Chinesische Hersteller gewinnen Marktanteile – aber langsamer als erwartet

Gut 24.000 Autos chinesischer Hersteller haben in den ersten neun Monaten des Jahres ein deutsches Kennzeichen erhalten. Ihr Anteil am Gesamtmarkt beträgt bereits mehr als ein Prozent. Allein Stückzahl-Primus MG Roewe hält 0,7 Prozent – mehr als etablierte Marken wie Mitsubishi, Smart oder Honda.

Trotzdem: Die chinesischen Autohersteller wachsen in Europa langsamer als von vielen Experten erwartet. Die aktuellen Zulassungszahlen würden das große Potenzial der Newcomer noch nicht widerspiegeln, heißt es etwa in einer Analyse des Marktbeobachters Jato.

Vielfältige Gründe für die Kaufzurückhaltung

Die Gründe für die bislang etwas ernüchternde Performance sind vielfältig. Neben wirtschaftlichen Verwerfungen in Europa und einem auch politisch gefärbten Vorbehalt gegenüber chinesischen Autos dürfte der Preis eine nicht ganz unwichtige Rolle spielen. Denn der ist nicht so niedrig wie erwartet.

In die Kosten-Nutzen-Rechnung des Käufers sollte zudem der wohl spürbar geringerer Restwert einfließen, der den Preisvorteil beim Kauf in vielen Fällen langfristig mindern dürfte.

Günstigstes E-Auto aus dem Reich der Mitte ist zurzeit der MG4, der bei knapp 32.000 Euro startet. Das ist erstens schon für sich genommen viel Geld. Und zweitens trennen ihn von einem technisch vergleichbaren VW ID.3 nur rund 3.000 Euro.

Und das, obwohl ähnliche Autos in China deutlich billiger sind. Den kompakten BYD Atto etwa gibt es dort ab 19.000 Euro. Wenn der Crossover in Kürze nach Deutschland kommt, wird er rund doppelt so viel kosten.

Verschiedene Faktoren erhöhen den Preis

Ein Teil der Differenz des deutschen zum chinesischen Preis ergibt sich aus den Kosten im Zusammenhang mit dem Import. So muss die Schiffs-Passage genauso gezahlt werden wie Steuern, Zölle und andere Abgaben.

Damit die Autos in der EU zugelassen werden können, ist viel teurer Papierkram nötig und nicht zuletzt müssen Technik, Ausstattung und Software an die europäischen Standards angepasst werden.

Um Autos hierzulande auch wirklich verkaufen zu können, sind außerdem Investitionen in Marketing, Ersatzteil-Logistik, Werkstattausrüstung und Händlernetz nötig.

Chinesische Hersteller haben Vorsprung bei Innovationen

Neben den Importkosten spielen aber auch andere, vor allem strategische Gründe eine Rolle für die recht hohe Preispositionierung.

Anders als die Japaner ab den 1960er-Jahren und drei Jahrzehnte später die Koreaner kommen die Chinesen nicht als demütige Billiganbieter nach Europa, die ihre Fahrzeuge vor allem über den Preis verkaufen müssen. Sondern mit gerechtfertigtem Selbstbewusstsein.

„Die chinesischen Hersteller bauen längst nicht mehr nur westliche Autos nach, sondern sie sind teilweise führend bei Innovationen. So ist etwa BYD weltweit vorne mit dabei in der Zellherstellung“, erläutert Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM).

Entsprechend sieht auch die Produktpalette aus: Statt als Billigheimer treten Firmen wie Nio, Zeekr oder Wey mit selbst formuliertem Premiumanspruch an – mehr Mercedes als Dacia. Auch volkstümlichere Anbieter wie BYD oder MG Motor versuchen sich nicht im preissensitiven Kleinwagenmarkt, sondern liefern vor allem schicke SUV nach westlichen Standards - und zu westlichen Preisen.

Premium-Strategie soll in Europa ebenso funktionieren wie in China

Warum auch nicht: Im Heimatmarkt funktioniert die Premium-Strategie bereits sehr gut. In den höherpreisigen E-Autosegmenten sind die lange Zeit führenden westlichen Marken bereits stark unter Druck – junge Chinesen mit Geld kaufen am liebsten die frischen Modelle aus der Heimat. Die oft als altbacken und spießig wahrgenommenen europäischen E-Mobile sind wahre Verkaufs-Flops. Mithalten kann da einzig noch Tesla.

Nicht zuletzt rufen die Chinesen die relativ hohen Preise aber auch auf, weil sie es eben können. Lebensstandard, Kaufkraft und nicht zuletzt das Marktumfeld erlauben hierzulande andere Beträge als in der Heimat.

Preisdruck in China sorgt für höhere Margen in Europa

Dort stehen die chinesischen Marken angesichts der dynamischen Marktverhältnisse zudem unter einem extremen Preisdruck, der es zusätzlich attraktiv macht, in Europa nach höheren Margen zu schielen. Einzelne Anbieter wie Aiways haben sogar angekündigt, künftig keine Autos mehr in der Heimat verkaufen zu wollen, sondern den Fokus auf Europa zu legen.

Experten prognostizieren Preiskampf

Ob die eher zurückhaltende chinesische Preispolitik von Dauer ist, bleibt abzuwarten. Einige Experten sehen für den dümpelnden deutschen Markt einen Preiskampf voraus, in den auch die Chinesen eingreifen dürften. Spätestens dann wird sich zeigen, wie groß der Spielraum nach unten ist, den die günstigeren Produktionskosten im Reich der Mitte bieten.

Für die europäischen Volumenhersteller mit ihren eng geschnürten Kostenkorsetten könnte das ein ernstes Problem werden. Rund 20 bis 30 Prozent Kostenvorteile haben die Chinesen nach Experten-Schätzungen. Nicht allein, weil die Produktions- und vor allem die Entwicklungskosten im Reich der Mitte niedriger sind, sondern auch, weil die Autobauer die komplette Wertschöpfungs- und Lieferkette kontrollieren.

Europa oder China: Wer baut den Klein(st)wagen der Zukunft?

Der Kostenvorteil könnte zum entscheidenden Trumpf werden, wenn die Chinesen auch noch in Marktsegmente drängen, die in Europa zunehmend stiefmütterlich behandelt werden – die der günstigen Kleinst- und Kleinwagen. In diesem wichtigen Markt-Segment sind die Claims nämlich noch nicht abgesteckt. Die große Frage in der kompletten Industrie ist daher: „Wer baut das elektrische Model T, den elektrischen VW Käfer der Neuzeit?“

Aktuell scheinen neben Tesla mit dem für 2024 angekündigten Model 2/Model Q die Chinesen die besten Chancen zu haben, das elektrische Massenauto der Neuzeit auf die Straße zu bringen.

Ganz aus dem Rennen sind die Europäer aber noch nicht: 2025 will VW mit dem ID2 und seinen Ablegern im Preissegment unter 25.000 Euro starten, schon ein Jahr früher sollen der Renault 5 und der Citroën e-C3 auf die Straße rollen, letzterer zu Preisen unter 20.000 Euro nach Abzug der Förderung.

Gegenmaßnahmen der EU könnten der eigenen Autoindustrie schaden

Wie groß die Angst in der Branche hierzulande ist, zeigt auch der Vorstoß der EU-Kommission, die chinesische Subventionspolitik für die E-Auto-Industrie wettbewerbsrechtlich untersuchen zu wollen. Damit flammt ein schon länger immer wieder diskutierter Protektionismus gegen die erstarkende Konkurrenz wieder auf. Auch strenge CO2-Steuern und Umweltvorgaben werden immer wieder diskutiert, um China mit seinen Kohlestrom-Batterien auf dem EU-Markt in Zaum zu halten.

Ob Protektionismus den heimischen Herstellern unterm Strich nutzt, ist ungewiss. Zum einen ist vor allem die deutsche Autobranche stark vom chinesischen Markt abhängig und muss man bei Handelshürden eine Revanche aus Peking fürchten. Zum anderen suchen schon zahlreiche chinesische Autobauer ganz offiziell nach Produktionsstätten in Europa. Wird die Einfuhr erschwert, baut man eben direkt vor Ort.