28.05.2018

Sicherheit – Netz als doppelter Boden

Im Auto sind Assistenzsysteme längst Standard. Intelligent vernetzt sollen sie sich nun bei Motorrädern durchsetzen und Unfälle vermeiden.

Keine Frage, Motorräder sind in den vergangenen Jahren deutlich sicherer geworden. Vorbei die Zeiten instabiler Fahrwerke und schwammig wirkender Reifen. Schon seit Jahren setzen sich technische Innovationen durch: Mit der Wahl verschiedener Modi lassen sich Fahrwerke auf unterschiedliche Bedingungen programmieren, Xenon-Licht und Schaltassistenz sind ebenso serienreif wie Reifenluftdruck-Kontrolle oder ein Assistent für das Anfahren am Berg.

Der italienische Hersteller Ducati kündigt bereits den nächsten Schritt an: Das Advanced Rider Assistance System (ARAS) soll durch ein kombiniertes Front- und Heck-Radar vor anderen Verkehrsteilnehmern warnen und dadurch helfen, Kollisionen zu vermeiden. Erfasst werden Fahrzeuge, die sich beispielsweise im toten Winkel des Fahrers befinden oder sich mit hoher Geschwindigkeit nähern. Bereits in zwei Jahren soll das System serienreif sein.

Alle großen Motorrad-Hersteller arbeiten an der Kommunikation zwischen Motorrädern und Autos

Ducati ist damit nicht allein: BMW arbeitet am ConnectedRide, mit dem die Kommunikation von Fahrzeug zu Fahrzeug realisiert werden kann. Auch die anderen europäischen Motorradhersteller, die vier großen japanischen Marken sowie Harley-Davidson streben an, in mindestens einem ihrer Modelle bis zum Jahr 2020 ein kooperatives Sicherheitssystem anzubieten.

Doch gegenüber Autos ist es bei Zweirädern schwieriger, Systeme einzubauen, die direkte Auswirkungen auf die Fahrdynamik haben. Denn ein plötzlich aktivierter Notbremsassistent könnte den Fahrer erschrecken und damit erst recht einen Sturz provozieren. Je mehr aber das autonome Fahren verwirklicht wird, umso wichtiger ist es, Motorrädern ihren Platz im Straßenverkehr zu sichern. Konnektivität bedeutet deshalb, dass nicht nur Autos vor Motorrädern gewarnt werden. Auch Motorradfahrer sollen wirkungsvoll auf mögliche Gefahren hingewiesen werden. Beispielsweise durch eine Warnung im Display.

Einige Situation sind für Motorradfahrer besonders gefährlich

Vorteil für die Forschung und Entwicklung: Sie kann sich auf ein paar Situationen beschränken und Lösungen entwickeln. Denn die Unfallstatistiken zeigen, dass einige wenige, dafür aber alltägliche Situationen für Motorradfahrer besonders gefährlich sind. Beispielsweise das Abbiegen in der Stadt: Zweiradfahrer werden dabei häufig von anderen Verkehrsteilnehmern übersehen. Ein gesetzter Blinker oder das ausgewählte Navigationsziel könnten jedoch ein Hinweis dafür sein, dass das entgegenkommende Auto abbiegen möchte – wichtig wäre dafür nur, dass die Fahrzeuge miteinander sprechen können. In den kommenden Jahren wird deshalb der Ausbau der Kommunikation zwischen den Fahrzeugen im Vordergrund stehen.

Ein weiterer Forschungs-Schwerpunkt liegt auf den Alleinunfällen mit zu hoher Geschwindigkeit. Nachdem das ABS bereits seit 2016 verpflichtend ist, gehört zunehmend ein Kurven-ABS zur Ausstattung. Mit diesem System richtet sich die Maschine beim Bremsen in Schräglage nicht spontan auf. Der Fahrer kann dem Kurvenverlauf weiter folgen. Ähnliche Sicherheitseffekte dürfen von den Traktionskontrollen erwartet werden: Ob durch zu beherztes Gasgeben oder wegen eines rutschigen Schmierfilms: Registriert das System zu großen Schlupf am Hinterrad, wird die Leistung abgeregelt, um die Spur zu halten. Viele leistungsstarke Modelle verfügen aus diesem Grund bereits heute über eine sogenannte Wheelie-Control. Diese verhindert das Aufsteigen des Vorderrads bei starker Beschleunigung, lässt sich oft jedoch auch nach Bedarf deaktivieren oder in verschiedenen Stufen einstellen.

Assistenzsysteme gibt es bisher vor allem bei Premiummodellen

Doch bislang beschränkt sich die Verfügbarkeit vieler Sicherheitssysteme auf leistungsstarke Supersportmaschinen und Premiummodelle. Nach Einschätzung des Instituts für Zweiradsicherheit dürfte es jedoch nur eine Frage der Zeit sein, bis diese Ausstattungsmerkmale auch für die Volumenmodelle angeboten werden. Etwas stiefmütterlich behandelt erscheint der Bereich der 125er, also der Fahrzeuge, die hauptsächlich von jungen Fahrern mit wenig Fahrerfahrung bewegt werden. Doch auch hier zeigt sich, dass vor allem die Top-Modelle mit ABS statt nur mit einer Kombibremse ausgestattet sind – Fahrerassistenzsysteme werden so mittelfristig zum Prestigefaktor.

Auch wenn sowohl BMW als auch Honda bereits am nicht umfallenden Motorrad arbeiten, bleiben sich selbst ausbalancierende Systeme Zukunftsvisionen. Absehbar dagegen ist, dass Fahrerassistenzsysteme künftig noch verstärkter in den Motorradbau Einzug halten werden. Die Akzeptanz wächst – dies zeigt sich auch am Gebrauchtmarkt, wo Modelle mit ABS begehrter sind als Maschinen, die nicht über die lebensrettende Unterstützung in Gefahrensituationen verfügen.

ACE-Tipp

Maßgeblicher Faktor beim Motorradfahren bleibt der Mensch am Gasgriff. In Anbetracht der schnell voranschreitenden technischen Entwicklung ist es umso wichtiger, sich auch mit der Wirkungsweise der kleinen Helfer vertraut zu machen. Das Lesen der Bedienungsanleitung allein reicht dafür nicht aus. Sinnvoller ist die Teilnahme an Fahrsicherheitstrainings. Das gilt auch für erfahrene Fahrer, die nur wenige Kilometer auf die Straßen bringen. Der ACE bietet Sicherheitstrainings für Motorradfahrer an. An mehreren Standorten finden sowohl Grund- als auch Aufbaukurse statt. Für ACE-Mitglieder sind die Teilnahmegebühren ermäßigt.