Wenn etwas neu ist, gibt es meist zwei Lager: Die einen finden es grundsätzlich toll, freuen sich auf die Veränderungen und sehen in ihnen nur die Vorteile. Neudeutsch heißen sie Early Adopter. Und dann gibt es die Nachzügler, auf englisch Laggards. Sie warten ab, ob sich das Neue auch wirklich durchsetzt. So war es vor über 100 Jahren bei den ersten Autos, so war es bei Computern, dem Internet oder Smartphones. Und so ist es nun auch wieder bei der Elektromobilität.
Auf der einen Seite stehen also die Verfechter der neuen Mobilität. Sie sehen alle Verkehrs-Probleme gelöst. Denn für sie heißt E-Mobilität: keine Abhängigkeit mehr von Rohöl-Importen, keine Abgase in den Innenstädten, keine Fahrverbote. Von den Nachzüglern kommen dagegen häufig die Totschlag-Argumente: E-Autos hätten eine viel zu geringe Reichweite, die Ladeinfrastruktur sei mangelhaft und die Ökobilanz erst! Doch was ist dran an den Argumenten beider Seiten?
„Mit einem Elektro-Auto kannst du ja nicht mal eben in den Urlaub fahren!“
Ja, richtig, wir kommen nicht dran vorbei: Wer ein E-Auto fährt, hört oft die Frage, wie weit er damit komme? Antwort: Das kommt ganz drauf an. Ein Elektro-Smart kommt im Alltag nur etwa 120 Kilometer weit. Im Winter nicht mal 100. Denn Sitzheizung, Licht, Klimaanlage, Navi und Co. zehren an der Reichweite. Doch auch diese 100 Kilometer decken den Alltag der meisten Pendler ab. Denn im Schnitt liegt die täglich zurückgelegte Wegstrecke nur knapp über zehn Kilometern. Und E-Autos sind vor allem im Stop-and-go-Verkehr zwischen den Ampeln Verbrennern deutlich überlegen. Da sinkt der Verbrauch schon mal in Richtung 10 kWh pro 100 Kilometer. In Diesel umgerechnet wäre das nicht mal ein Liter auf 100 Kilometern, in der Stadt wohlgemerkt.
Wer also zu Hause oder auf der Arbeit laden kann, für den sollte die alltägliche E-Mobilität kein Problem sein. Ein Urlaub ist dagegen eine ganz andere Herausforderung. Die Alternative: ein Mietwagen, der je nach Bedarf ein Van für den Familienurlaub sein kann oder ein Cabrio für den Wochenendtrip zu zweit. So bietet es beispielsweise VW an: In den ersten beiden Jahren bekommen Neuwagenkäufer von e-Up oder e-Golf einen Mietwagen je 30 Tage kostenlos.
Aber auch heute gibt es schon E-Autos mit größerer Reichweite: Das Tesla Model S zum Beispiel. Bis zu 500 Kilometer fährt die Luxus-Limousine rein elektrisch.
„E-Autos sind aber so teuer!“
Klar, der Tesla kostet mindestens 70.000 Euro und ist daher für die meisten schlicht zu teuer. Richtig ist auch: Elektroautos kosten mehr als vergleichbare Verbrenner. Das liegt vor allem am Akku. Noch kostet der bereits erwähnte E-Smart doppelt so viel wie sein günstigster Verwandter mit Benzinmotor. Bei vielen anderen E-Autos liegt der Aufschlag bei etwa 50 Prozent. Doch die Preise für Akkus sinken. Allein von 2013 bis 2016 ist der Preis von Lithium-Ionen-Batterien um fast die Hälfte gesunken. Analysten gehen davon aus, dass er sich bis 2020 noch einmal halbiert. Die Reichweite wird zukünftig steigen, weil mehr Kapazität verbaut wird, und gleichzeitig wird der Preis sinken. Das könnte in den kommenden Jahren wohl auch zu hohen Wertverlusten führen, ein Grund, weshalb viele Kaufinteressenten noch abwarten.
Doch es gibt auch heute schon günstige Stromer mit alltagstauglicher Reichweite: der Renault Zoe, das in Deutschland meistverkaufte E-Auto, kostet durch den Elektro-Bonus momentan knapp 17.000 Euro, der Akku für rund 200 Kilometer ist dann allerdings nur gemietet. Der Opel Ampera-E richtet sich dagegen eher an Vielfahrer: Er kostet knapp 43.000 Euro und kommt mit seinem 60-kWh-Akku im Alltag 280 bis 380 Kilometer weit. Neben den großen Herstellern drängen aber auch zahlreiche Start-ups auf den Markt.
„Und für jede Ladesäule braucht man eine eigene Ladekarte!“
Bisher gab es in der Tat nicht nur einen Wildwuchs bei den Steckern, sondern auch bei den Ladesäulen. Meist war eine Registrierung und eine eigene Ladekarte nötig. Ein mühsames Unterfangen bei über 8000 Ladesäulen und zig Betreibern in Deutschland. Doch seit vergangenem Jahr müssen alle neu gebauten, öffentlichen Ladesäulen entweder Bargeld oder eine EC- bzw. Kreditkarte akzeptieren; auch Online-Bezahlsysteme und Bezahlung per Near Field Communication (NFC) sind denkbar. Für die älteren Ladesäulen gibt es außerdem Universal-Ladekarten wie die für ACE-Mitglieder kostenlose PowerMe-Ladekarte (www.ace.de/ladekarte). Einmal registriert, gilt sie deutschlandweit an über 6500 Ladesäulen, in Europa gar an über 70.000.
„Wo soll der Strom herkommen, wenn jetzt jeder Elektroauto fährt?“
Vielleicht der wichtigste Punkt vorweg: Von heute auf morgen wird nicht ganz Deutschland umsteigen. Etwa drei Millionen neue Fahrzeuge werden jedes Jahr zugelassen. Selbst wenn ab heute nur noch E-Autos zugelassen werden dürften, würde es etwa 15 Jahre dauern, bis alle Autos ausgetauscht sind. Tatsächlich wird der Anteil reiner Stromer an den Neuwagen in den kommenden Jahren niedrig bleiben. Entsprechend wächst auch der Strombedarf nur langsam. Selbst eine Million E-Autos würden den Strombedarf nur um 0,5 Prozent erhöhen. Eine Größenordnung, die das Stromnetz locker auffängt. Trotzdem ist klar: Auf Dauer muss die Energieerzeugung und Bereitstellung angepasst werden – Stichwort: Smart Grids; also intelligente Netze, in denen die Autos auch als Strompuffer genutzt werden.
„... und der Strom, der kommt dann aus dem Kohlekraftwerk?!“
Eins ist klar: E-Mobilität kann nur so sauber sein wie der Strom, der sie antreibt. In Deutschland stammen mittlerweile mehr als 30 Prozent aus erneuerbaren Energien. 2004 waren es noch weniger als zehn Prozent. Und der Anteil wächst stetig, der „Kraftstoff“ wird also immer grüner. Allerdings wird viel Strom durch Windkraft erzeugt, vor allem im Norden. Das führt einerseits zur „Verspargelung“ der Landschaft, andererseits wird der Strom vor allem im Süden benötigt. Nicht nur die Anzahl der Windparks, sondern auch die Anzahl der Stromtrassen wird daher in Zukunft steigen. Akzeptanzprobleme gibt es schon heute.
„Allein die CO2-Bilanz der Batterie!“
2017 kursierte eine Nachricht durch die Medien: Allein die Produktion eines Akkus verursache 17,5 Tonnen CO2. Womit ein Verbrenner etwa acht Jahre fahren könnte. Doch diesen verkürzten Schluss lieferte nicht die Studie, sondern er war die Interpretation verschiedener Medien. Die Studie besagt nur: Ein großer Tesla-Akku mit 85 kWh Kapazität verursacht in der Produktion besagte 17,5 Tonnen des Treibhausgases. Dazu muss man wissen, dass solch ein großer Akku bisher eher nicht die Regel ist. Im Renault Zoe steckt beispielsweise ein 21-kWh-Akku. Er verursacht bei der Produktion entsprechend nur ein Viertel der CO2-Emissionen. Dadurch legt er auch den „CO2-Rucksack“ viel schneller ab. Es zeigt aber auch: die Produktion von Akkus verursacht immense Treibhausgas-Emissionen. Nur durch einfachere Technik und eingesparte Nebenaggregate lässt sich diese Menge nicht einsparen. Ein Elektro-Auto ist also per se kein Null-Emissionsfahrzeug. Wer Wert auf eine gute CO2-Bilanz legt, sollte zu einem kleinen, leichten Auto mit niedrigem Energieverbrauch greifen, das gilt bei Elektroautos genauso wie bei konventionellen Verbrennern. Denn wegen strikter CO2-Vorgaben werden in Zukunft weiter Diesel gebraucht, sie müssen allerdings sauber sein.
„Und die Rohstoffe?“
Ohne Lithium, Kobalt und Grafit fährt kein E-Auto. Doch die Rohstoffe sind teilweise knapp und der Bedarf wächst aktuell stärker als die Förderung. Außerdem kommen Sie zum Teil aus politisch instabilen Ländern und werden auch unter fragwürdigen Umständen gefördert. Kobalt kommt beispielsweise hauptsächlich aus dem Kongo. Es ist jedoch bekannt, dass in den Kobaltminen in Zentralafrika auch Kinder arbeiten. Für den Abbau werden außerdem häufig Wälder abgeholzt und Gewässer verseucht. Diesen Problemen muss sich die Industrie stellen, sonst profitieren vielleicht deutsche Innenstädte von weniger Emissionen, der ökologische Fußabdruck insgesamt würde dadurch aber wachsen. Verschiedene Hersteller forschen deshalb bereits an Motoren und Batterien, die weniger Rohstoffe benötigen – auch weil der Preis von Lithium und Co. durch die hohe Nachfrage zuletzt deutlich stieg.
„E-Autos hört man nicht, das ist supergefährlich!“
Richtig ist: Elektromotoren sind viel leiser als Diesel oder Benziner. Für Fußgänger, aber auch Fahrradfahrer kann das in der Tat gefährlich werden. Vor allem in der Übergangszeit, wenn leise E-Autos noch nicht so verbreitet sind und kaum jemand mit ihnen rechnet. Doch die Hersteller arbeiten an Lösungen. Für viele E-Autos gibt es sogenannte Sound-Module, die ein Fahrgeräusch simulieren. Das ist zwar wesentlich leiser als ein Verbrennungsmotor, reicht aber aus, um auf sich aufmerksam zu machen – eine Chance auch für lärmgeplagte Anwohner, denn dadurch sinkt der Verkehrslärm insgesamt.
Fazit: Elektromobilität ist definitiv nicht der alleinige Heilsbringer. Denn das Hauptproblem ist immer noch, dass in viel zu vielen Autos viel zu wenige Menschen sitzen. Das verursacht die Staus, sowohl auf den Autobahnen als auch in den Städten. Daran kann auch die E-Mobilität nichts ändern. Doch sie kann den Verkehr in den Städten sauberer, leiser und effizienter machen. Und viele Autofahrer könnten ihren Alltag bereits heute im Stromer bestreiten. Wichtig ist aber, dass die Rohstoffe und der Strom aus sauberen Quellen stammen. Nur dann steht der E-Mobilität eine große Zukunft bevor.