26.06.2018

Freie Fahrt für Retter

Ob Rettungskräfte trotz Stau schnell an den Einsatzort gelangen, hängt auch von der rechtzeitigen Bildung der Rettungsgassen ab. Autofahrer können helfen, die Situation zu verbessern.

Bremslichter flackern auf, die eingeschalteten Warnblinkanlagen der vorausfahrenden Fahrzeuge kündigen stockenden Verkehr an. Stau auf der Autobahn, mal wieder ohne Vorwarnung durch Navi oder Verkehrsfunk. Gleichzeitig mit dem Tritt auf die Bremse und der Aktivierung des eigenen Warnblinkers erfolgt der Blick in den Rückspiegel, ob auch die nachfolgenden Autofahrer die Gefahr erfasst haben. Und dann immer nah am Fahrbahnrand orientieren und eine Rettungsgasse bilden. Klingt einfach, ist es aber nicht.

Seit Mitte Dezember 2016 ist die Bildung von Rettungsgassen auf Bundesautobahnen und Außerortsstraßen bei mindestens zwei Fahrstreifen vorgeschrieben. Doch viele Autofahrer bleiben bei Stockungen immer noch mitten auf ihrer Fahrspur. Folge ist ein Stau im Stau – nämlich dann, wenn Einsatzfahrzeuge nicht genug Platz haben, um zur Unfallstelle zu gelangen. Breit angelegte Kampagnen von Länderministerien, Rettungsdiensten und Verkehrswacht zielen auf die Einsicht der Autofahrer ab. Allein in Nordrhein-Westfalen werben 250 Banner an Autobahnbrücken für mehr Rücksichtnahme im Stau. Auch der ACE möchte den Fokus auf dieses wichtige Thema richten und hat deshalb einen Aufkleber „Rettungsgasse“ entwickelt, den wir Ihnen gerne zusenden. Schicken Sie einfach einen frankierten Rückumschlag an: ACE-Clubservice, Stichwort „Rettungsgasse“, Schmidener Straße 227, 70374 Stuttgart.

Rettungsgasse richtig bilden

Ist der Verkehr erst einmal zum Erliegen gekommen, fällt es schwer, eine rettende Gasse zu bilden. Um einen Pkw seitlich zu versetzen, bedarf es etwa ein bis zwei Wagenlängen. Wird bis zur Stoßstange des Vordermannes aufgefahren, bleibt dafür kein Raum mehr. Als Faustregel wird deshalb empfohlen, sich dem vorausfahrenden Fahrzeug nur so weit zu nähern, dass dessen hintere Reifen noch gut zu sehen sind. Wichtig ist auch, sich schon bei zäh fließendem Verkehr möglichst weit nach rechts oder links einzuordnen. Die Regel ist einfach: Auf zweistreifigen Strecken fahren die Fahrzeuge auf der linken Spur möglichst weit nach links, die auf der rechten nutzen den Platz bis inklusive der Fahrbahnmarkierung aus. Auf dreistreifigen Strecken wird die Rettungsgasse zwischen der linken und der mittleren Spur gebildet. Als Eselsbrücke reicht ein Blick auf die rechte Hand: Die Lücke zwischen Daumen und Zeigefinger markiert die Anordnung der Rettungsgasse.

Nach schweren Unfällen geht es um Sekunden

Vom eigenen Verhalten hängt das Leben von Menschen ab. Bei der Versorgung von Unfallopfern geht es um Sekunden, der österreichische Autobahnbetreiber ASFINAG beziffert die Erhöhung der Überlebenschancen von Unfallopfern durch funktionierende Rettungsgassen auf bis zu 40 Prozent. Auch sich selbst tut man den größten Gefallen damit, mit einer frei gehaltenen Notspur für die schnelle Beseitigung des Hindernisses zu sorgen.

Sich selbst durch das Befahren der Rettungsgasse einen Vorteil zu verschaffen, geht gar nicht. Die Chancen, irgendwo weiter vorne wieder einscheren zu können, sind etwa so hoch wie ein Höchstgewinn im Glücksspiel. Sicher dagegen wäre eine weitere Behinderung des Rettungseinsatzes. Die unbefugte Nutzung einer Rettungsgasse gilt deshalb als Rechtsüberholen und wird mit 100 Euro Bußgeld und einem Punkt in der Verkehrssünderkartei bestraft. Dies gilt auch für Motorradfahrer. Ebenso sträflich ist das Abstellen des Fahrzeugs auf dem Seitenstreifen, wie es bei manchen Lkw-Fahrern zu beobachten ist. Der Standstreifen muss frei bleiben und darf auch zur Bildung der Rettungsgasse nicht mit genutzt werden. Untersagt ist übrigens auch das Aussteigen aus dem Wagen – selbst wenn der Verkehr schon länger steht.

Hohe Bußgelder, wenn keine Rettungsgasse gebildet wird

Wer die Regeln missachtet und keinen Platz schafft, kommt nicht ungestraft davon. 200 Euro Geldbuße und zwei Punkte in Flensburg sieht der Bußgeldkatalog bei Nichtbildung einer Rettungsgasse vor. Wer so eine Behinderung auslöst, zahlt 240, wer gefährdet, sogar 280 Euro. Kommt es zu einer Sachbeschädigung, werden 320 Euro fällig. Behinderung und Gefährdung sind zudem mit einem Fahrverbot belegt. In mehreren Bundesländern wertet die Polizei zur Ahndung die Kameramitschnitte der Einsatzfahrzeuge aus.

Dass das Thema auch mit positiven Anreizen aufgegriffen werden kann, zeigen die Aktionen mehrerer Radiosender, die Bitte um Bildung einer Rettungsgasse ist zum festen Bestandteil der Verkehrsnachrichten geworden. Moderator Kai Jürgens weist als „Verkehrs-Kai“ gern auf die Streckenabschnitte hin, wo es klappt. Eine Bestätigung, dass das Lob wirkt, kommt auch von den Einsatzkräften, bestätigt Radio FFH. Nach den Durchsagen ist ein besseres Durchkommen zu beobachten.

Autos werden immer breiter

Aber reicht der zur Verfügung stehende Platz auf Autobahnen und Schnellstraßen überhaupt noch aus, um Rettungsgassen bilden zu können? Immerhin ermittelte das Center Automotive Research (CAR) an der Universität Duisburg-Essen einen durchschnittlichen Zuwachs der Fahrzeugbreite bei Pkw von 12,3 Zentimetern seit 1990. Das liegt nicht nur am größeren Absatz von Vans und SUV. In die Breite gegangen sind auch seit Jahren altbekannte Modelle: So misst der Golf 7 knapp 19 Zentimeter mehr als der Ur-Golf, die Mercedes E-Klasse ist etwa 28 Zentimeter breiter als der alte 123er. Der aktuelle 3er-BMW bringt es auf 27 Zentimeter mehr als das erste Modell. Ob Kleinwagen, Sportler oder Transporter, bei jedem Modellwechsel werden die Karosserien ausladender.

Während Autos munter Wohlstandsspeck ansetzen, werden die Straßen unverändert gebaut. Eine zweistreifige Autobahn bringt es auf Fahrbahnbreiten von je 3,75 Meter, bei dreistreifigen Strecken messen die beiden linken Fahrbahnen nur jeweils 3,50 Meter. Auf autobahnähnlichen Straßen und Stadtautobahnen sind die Fahrspuren nochmals schmaler. Der Platz reicht dennoch zur Bildung einer Rettungsgasse, da sind sich sowohl die Länderministerien von NRW und Baden-Württemberg als auch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) sicher. Allerdings müssen die Fahrzeuge korrekt positioniert werden, sobald das Tempo auf Schrittgeschwindigkeit fällt.

Genutzt werden muss auch der Seitenraum, stehen doch links von der Begrenzungslinie immer noch 75 Zentimeter zur Verfügung. Viele Autofahrer aber scheuen das Überqueren der weißen Linie, obwohl gerade hier der Raum gewonnen wird, der ein Durchkommen schwerer Einsatzfahrzeuge sichert. Ob aus Sorge, der mitunter üppige Grünbewuchs des Mittelstreifens könnte dem Lack schaden, oder aus Angst, im Notfall die Tür nicht mehr öffnen zu können, bleibt unklar. Vielleicht ist es auch nur die Neugier, sehen zu wollen, was weiter vorne passiert.

Unfallgefahr in Baustellen ist nicht erhöht

Problematisch wird es, wenn sich an Engstellen wie einer Arbeitsstelle Staus bilden. Einer Studie der Unfallforschung der Versicherer (UDV) zufolge ist die Unfallgefahr in Autobahnbaustellen zwar nicht erhöht, doch reicht schon ein liegen gebliebener Wagen, um den Verkehr zum Erliegen zu bringen. Wo es möglich ist, werden bereits bei der Einrichtung einer Baustelle Notfallwege mit eingeplant, von einem Hineinfahren in abgesperrte Baustellenbereiche rät das baden-württembergische Innenministerium dringend ab. „Ideal wäre es, wenn die Fahrzeuge versetzt fahren und bei Rückstau auch so stehen bleiben würden“, sagt Siegfried Brockmann, Leiter der UDV. „Dann könnte im Einsatzfall ein Fahrstreifen frei gemacht werden.“

In absehbarer Zukunft könnten technische Neuerungen für Unterstützung und Besserung sorgen. Schmal bauende Kamera-Monitor-Systeme sind als Spiegelersatz in Erprobung, erste Untersuchungen der Bundesanstalt für Straßenwesen verliefen positiv.

Stau-Assistenten kennen keine Rettungsgasse

Stau-Assistenten sind dagegen nicht in der Lage, automatisch eine Rettungsgasse zu bilden. Auf Anfrage von ACE LENKRAD bestätigten mehrere Hersteller, dass die Systeme den Wagen in der Mitte der Spur halten. Nach Angaben von Mercedes-Benz erfüllt das System jedoch weiterhin die abstandsregulierende Funktion, wenn für eine Rettungsgase manuell zur Seite gelenkt wird. An einer noch besseren Sensorik wird überall gearbeitet, doch scheint eine serienreife Realisierung noch nicht in Sicht. Ungelöst ist bislang auch die Frage, an welchem Fahrbahnrand sich der Assistent bei drei oder vier Fahrstreifen orientieren soll. Zum derzeitigen Stand der Technik, so VW-Sprecher Martin Hube, kann gerade im Stau auf das aktive Eingreifen des Fahrers nicht verzichtet werden. Seine Empfehlung lautet deshalb, ab Schrittgeschwindigkeit die Kontrolle über das Fahrzeug selbst zu übernehmen.

Im Stau sollte unbedingt darauf geachtet werden, dass die Rettungsgasse nicht unbemerkt wieder geschlossen wird. Immerhin ist das Schwarmverhalten nicht zu unterschätzen. Die Erfahrung lehrt: Beginnt einer, eine Rettungsgasse zu bilden, tun es ihm die dahinter folgenden Fahrer gleich.