01.10.2016

Sicherer Schulweg – Ohne Elterntaxi geht es auch

Aus Sorge um die Sicherheit auf dem Schulweg bringen vermehrt Eltern ihre Kinder mit dem Auto zur Schule. Im Einzelfall gibt es sicherlich gute Gründe dafür, aber zu viele Autos jeden Morgen sorgen für Chaos vor den Schultoren. Eine mögliche Lösung wären zentrale Hol- und Bringzonen.

Britta geht zur Schule. Genau wie Tobias, der nur ein paar Häuser weiter wohnt und ebenfalls vor ein paar Wochen eingeschult wurde. Endlich sind sie Schulkinder, fast schon erwachsen. Den Weg zur Schule haben sie bereits in den Ferien mit ihren Eltern geübt. Es ist nicht weit, vielleicht zehn Minuten.

Angehalten wird da wo Platz ist

 

Wie Britta und Tobias machen sich jeden Morgen rund 2,7 Millionen Grundschüler auf den Weg zum Unterricht, 700.000 davon sind Abc-Schützen. Doch der gute Vorsatz vieler Eltern, den Schulweg erst zu Fuß zu begleiten und später von den Kindern eigenständig absolvieren zu lassen, schwindet mit nachlassenden Temperaturen, schlechtem Wetter und später einsetzendem Tageslicht. Schnell wird daher der Schulweg der Kinder in den Alltag der Erwachsenen integriert. Auf dem Weg zur Arbeit eben mit dem Auto den Schlenker an der Schule vorbei zu machen wird oftmals als praktischere und vor allem auch sicherere Alternative angesehen.


15.600 Grundschulen gibt es in Deutschland, und allmorgendlich werden die Zufahrten zu Gefahrenzonen. Denn angehalten wird, wo gerade Platz ist: Zebrastreifen werden großzügig übersehen, Gehwege blockiert. Vielerorts mittlerweile eingerichtete Halteverbotszonen haben nur wenig Bedeutung, wenn ein paar Meter näher am Eingang auch gehalten werden kann. Anhalten in zweiter Reihe ist ebenso häufig zu beobachten wie ein Aussteigen während der Fahrt nicht angeschnallter Kinder zur Straßenmitte hin. Kaum ist das eigene Kind aus dem Wagen gestiegen, wird wieder in den Normalmodus umgeschaltet: Termine drängen, die anderen Autos nerven ebenso wie die ganzen zur Schule laufenden Kinder. Aus dem Wunsch, seinen Nachwuchs sicher zur Schule zu bringen, erwachsen so ernst zu nehmende Risiken für andere Kinder. Es ist gefährlich, wenn sich die Kinder zwischen haltenden, wieder anfahrenden und wendenden Autos durchschlängeln müssen. Erst recht, wenn dies in der Dämmerung geschieht.


Fahrgastzelle hin, Kindersitz her – das Auto ist nur bedingt ein sicherer Ort für Kinder. Allein im Jahr 2015 wurden innerorts 1711 Kinder im Alter zwischen sechs und zehn Jahren als Mitfahrer in einem Pkw verletzt. In der Altersklasse der zehn- bis 15-Jährigen wurden sogar 1937 Kinder verletzt. Jeder sechste Fußgänger, der im vergangenen Jahr im innerörtlichen Straßenverkehr zu Schaden kam, war ein schulpflichtiges Kind im Alter bis zu 15 Jahren.

Zwischen 7 und 8 Uhr ist die unfallträchtigste Zeit

 

Dabei erweist sich der morgendliche Schulweg zwischen sieben und acht Uhr als die unfallträchtigste Tageszeit für Kinder. Verstärkt regt sich dann auch Unmut gegenüber Elterntaxis – Schulen beklagen das morgendliche Chaos, die Polizei versucht mit gezielten Aktionen, aufzuklären und die Situation zu entschärfen. Betroffen sind maßgeblich Grundschulen – weiterführende Schulen werden eher mit dem Bus oder dem Fahrrad angesteuert. Der ACE empfiehlt in seinem Schulweg-Ratgeber: "Kinder mit dem Auto zur Grundschule zu bringen, sollte die Ausnahme sein ..." Auch die Deutsche Verkehrswacht rät Eltern mittlerweile davon ab, Kinder mit dem Auto zur Schule zu bringen.


Nachdem die Einschränkungen legaler Haltemöglichkeiten im direkten Bereich von Schulen keine Besserung brachten, gehen viele Kommunen neue Wege, um den Schulweg sicherer zu gestalten. Auch der ACE propagiert das als "kiss and ride"bekannt gewordene Modell. Morgens ungenutzte Parkplätze sollen als sichere Haltestellen für Elterntaxis dienen, wobei ein Fußweg zwischen 200 und 400 Metern bis zur Schule nicht nur als zumutbar angesehen wird, sondern sogar ausdrücklich erwünscht ist.

Haltestellen für Elterntaxis eingerichtet

 

Wo diese Stellen festgelegt und auch gekennzeichnet werden, sollte nach eingehender Analyse des Verkehrsumfeldes gemeinschaftlich durch Eltern, Stadt und Polizei erfolgen. Neben Aachen, Bergisch Gladbach und Osnabrück haben bereits viele weitere Städte Hol- und Bringzonen eingerichtet. Manchmal reicht das Angebot allein jedoch nicht aus. So denkt man in Celle an eine symbolische Bannmeile, aus welcher der Kraftfahrzeugverkehr herausgehalten werden soll. In Osnabrück wurden solche Bannmeilen bereits per einstimmigem Ratsbeschluss umgesetzt. Chauffieren Eltern trotzdem ihre Kinder direkt bis vor das Schultor, ist ein Bußgeld fällig.


War es früher normal, den Schulweg gemeinsam mit Nachbarskindern und Freunden zu bewältigen, muss heute wieder dafür geworben werden. Dabei können diese Weggemeinschaften auch ganz willkürlich zusammengesetzt sein: Beim "Schulbus auf Füßen" oder "Laufbus" sind Schulkinder gemeinsam in kleinen Gruppen unterwegs und nehmen an definierten Haltestellen ihre Mitschüler mit. Das macht schon den Weg zum Unterricht zum Spiel- und Gruppenerlebnis.

Eingenständig zur Schule kommen fördert Kinder

 

Bewährt haben sich zudem Aktionstage und -wochen, in denen das Motto "Zu Fuß zur Schule" gilt. Voraussetzung ist zwar maßgeblich die Einsicht und Mitwirkung der Eltern. Doch können auch gezielte Anreize die Schülerinnen und Schüler locken: So verteilte die Frankfurter Polizei im vergangenen Jahr Stempelkarten an alle Schulanfänger. Jeder per pedes zurückgelegte Weg zur Schule brachte einen Stempel ein. Mit fünf Stempeln lockte die Teilnahme an einer Verlosung von Preisen.


Schulmediziner bestätigen, dass Kinder, die morgens eigenständig zur Schule kommen, aufnahmefähiger und aktiver sind. Still sitzen müssen sie schließlich noch genug im Unterricht. Bewegungsmangel führt zu Unsicherheiten und erhöht das Unfallrisiko. Laut der Deutschen Verkehrswacht haben immer mehr Schüler Probleme bei der Radfahrausbildung, weil sie das Gleichgewicht auf dem Fahrrad nicht halten können. Eine kürzlich erschienene Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) belegt darüber hinaus einen Verlust der eigenständigen Mobilität von Kindern – auch infolge von zunehmenden Transporten per Auto. Folge sind gehäuft auftretende motorische Schwächen von Kindern, die sich auch auf die Teilnahme am Straßenverkehr auswirken können.


Burkhard Nipper, geschäftsführender Direktor der Landesverkehrswacht NRW, kann die Gründe nachvollziehen, die Kinder für den Weg zur Schule ins Auto zu setzen. Allerdings gibt er zu bedenken, dass die Aufmerksamkeit für verschiedene Verkehrssituationen dabei auf der Strecke bleibt. "Verkehrssicherheit lernt man nicht vom Rücksitz aus, betont er. Das Elterntaxi schränke den Radius für eigene Erfahrungen zu sehr ein und hielte Kinder in der Unselbstständigkeit. Diese Sorge findet bei Nils Rübcke vom ACE vollste Unterstützung: "Wenn Kinder ständig mit dem Auto zur Schule gefahren werden, geht ihnen auch wichtige Kompetenz im Straßenverkehr verloren. Denn das richtige Verhalten im Straßenverkehr lernen Kinder durch Nachahmen und die aktive Teilnahme am Verkehrsgeschehen.

Elterntaxi oft auch einzige Möglichkeit

 

Dennoch kann nicht immer von übertriebener Elternfürsorge ausgegangen werden, wenn der Weg zur Schule per Auto zurückgelegt wird. Natürlich bietet es sich an, Elterntaxis pauschal mit Helikoptereltern gleichzusetzen. Doch wo die Schule nicht im direkten Einzugsgebiet des Wohnumfeldes liegt, kann die Bewältigung des Schulwegs tatsächlich zum Problem werden. Dies betrifft nicht nur ländliche Regionen, sondern durch Zusammenlegungen von Schulen immer mehr auch den städtischen Bereich. Immerhin sank nach Angaben des Statistischen Bundesamtes die Anzahl der Grundschulen zwischen 2005 und 2015 um ganze 42 Prozent.


Ernst zu nehmen ist zudem die Angst, die eigenen Kinder könnten auf dem Schulweg Opfer krimineller Jugendbanden werden. Doch obwohl aus einigen Städten Hinweise auf Übergriffe vorliegen, bedarf es hier einer Einschätzung der tatsächlichen Gefahrenlage vor Ort. Liegen derartige Gefährdungen vor, sollte dringend das Gespräch mit der Schule sowie den zuständigen Ordnungskräften gesucht werden. Der Chauffeurdienst für die eigenen Kinder ist auf Dauer keine passable Lösung. Andreas Bergmeier, Referatsleiter Kinder und Jugendliche beim Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR), betont stattdessen die Sicherheit der Gruppe, die der "Laufbus" bieten kann.


Britta geht zu Fuß zur Schule. Tobias wird oft von seiner Mutter mit dem Wagen bis zur kürzlich eingerichteten Elternhaltestelle gebracht. Gut, dass er seine Mutter überzeugen konnte, ihn hier abzusetzen. So kann er mit Britta und den anderen, die dort auf ihn warten, gemeinsam die letzten Minuten vor dem Unterricht verbringen. Und wenn die Zeit drängt, dann laufen sie eben bis zum Schultor um die Wette.


Klicken Sie hier um den Anteil verunglückter Kinder auf dem Schulweg in der Übersicht zu sehen (PDF)

 

ACE Tipp

Sicherer Schulweg

  • Üben Sie mit Kindern den sicheren Weg zur Schule ein. Zeigen Sie ihnen das richtige Verhalten an Gefahrenstellen. Erwachsene sind für Kinder die wichtigsten Vorbilder.
  • Runter vom Gas im Umfeld von Kindergärten und Schulen! Kinder achten selten auf Autos, wenn sie auf der anderen Straßenseite Freunde entdecken.
  • Kinder haben aufgrund ihrer Größe weniger Sicht auf die Straße. Über auf dem Gehweg haltende Autos kann nicht drüber weggeschaut werden.
  • Machen sie den morgendlichen Bringdienst nicht zur Regel. Wer den morgendlichen Schulweg eigenständig bewältigt, bewegt sich sicherer im Straßenverkehr.
  • Lassen Sie Kinder nur an sicheren Stellen und auf der von der Straße abgewandten Seite aussteigen. Das Aussteigenlassen in Halteverbotszonen ist für Ihre und andere Kinder gefährlich.
  • Nutzen Sie bereits bestehende Halteplätze für Elterntaxis. Von hier aus ist der restliche Schulweg sicher.

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