29.10.2018

„So wichtig wie Essen und Trinken“

Der renommierte Schlafforscher Dr. Hans-Günter Weeß spricht im Interview mit ACE LENKRAD über die Gefahr von Müdigkeit am Steuer.

Herr Dr. Weeß, wie haben Sie denn letzte Nacht geschlafen?

Ich habe sehr gut geschlafen, danke. Als Somnologe weiß ich ja, wie schlafen geht. Es gibt natürlich immer Ausnahmesituationen im Leben mit Spannungen und Sorgen, wo auch ich Einschlafprobleme habe. Vorübergehende Schlafstörungen gehören aber zum Leben dazu, sie sind etwas Natürliches.

Die Zeitumstellung ist ja gerade ein paar Tage her, hat sie Ihnen Probleme bereitet?

Mir persönlich jetzt nicht, ich bin eine Eule und Eulen kommen mit der Zeitumstellung besser zurecht als Lerchen. Ich weiß allerdings von meinen Patienten, dass sie teilweise nicht nur ein oder zwei Tage, sondern wirklich ein oder zwei Wochen brauchen, bis sie mit ihrer inneren Uhr wieder richtig nach der neuen Zeit getaktet sind. Insgesamt muss man sagen, dass die Zeitumstellung schon eine Belastung darstellt.

Ist das denn wirklich ein echtes Problem, oder ist auch viel Einbildung dabei? Es geht ja nur um eine Stunde und normalerweise gehen wir ja auch nie zur selben Uhrzeit ins Bett.

Es hat etwas mit der Flexibilität des Schlaf-Wach-Rhythmus zu tun. Der ist bei kleinen Kindern nicht gegeben, auch ältere Menschen haben einen relativ starren Schlaf-Wach-Rhythmus. Und da kann eine Stunde Zeitverschiebung durchaus schon negative Konsequenzen haben. Es gibt viele Studien, die darauf hindeuten, dass insbesondere die Zeitumstellung im Frühjahr eine belastende Situation darstellt, da uns eine Stunde weggenommen wird und Schule und Arbeitsbeginn darauf keine Rücksicht nehmen. In dieser Zeit gibt es beispielsweise mehr Krankenhauseinweisungen mit Verdacht auf Herzinfarkt und wir haben Hinweise darauf, dass es möglicherweise mehr Verkehrsunfälle gibt.

Mehr Unfälle wegen Schlafmangel?

Schlaf ist eine wichtige elementare biologische Funktion. Wenn wir nicht essen, wenn wir nicht trinken oder wenn wir nicht schlafen, dann werden wir sterben. Und ein Stück weit wird der Schlafmangel bagatellisiert. Wir leben ja in einer Gesellschaft, in der es hip ist, nicht viel Schlaf zu benötigen. Derjenige, der auf einer Urlaubsfahrt von Hamburg nach Rom am Stück durch die Nacht durchfährt, der gilt als Held. Ohne dass es einem eigentlich bewusst wird, welche Risiken man dabei eingeht. Wir sollten den Schlaf mehr schätzen. Die meisten von uns stehen zu früh auf und beenden ihr nächtliches Reparaturprogramm – das ist der Schlaf als elementare biologische Funktion – vorzeitig mit dem Wecker. Und wir wissen, dass auf deutschen Straßen viel mehr Verkehrsunfälle infolge Einschlafen als wegen Alkohol am Steuer passieren. Da ist eine Stunde weniger Schlaf infolge der Zeitumstellung schon ein Problem. In einer amerikanischen Studie konnte gezeigt werden, dass bereits eine Stunde weniger Schlaf das Unfallrisiko um 30 Prozent ansteigen lässt

Was halten Sie davon, wenn die Zeitumstellung jetzt abgeschafft wird? Die Deutschen bevorzugen die Sommerzeit.

Ich begrüße es aus meiner schlafmedizinischen Perspektive unbedingt, wenn der Wechsel zwischen Sommer- und Winterzeit abgeschafft wird. Ich bin aber gegen die ewige Sommerzeit, sie wäre für die innere Uhr des Menschen eine künstliche Zeit. Wir brauchen tatsächlich die Dunkelheit am Abend, die frühere Dunkelheit, sodass wir in den Schlaf finden können. Die langen hellen Sommerabende sind zwar wunderbar, aber wir werden eben nicht müde. Und am nächsten Morgen klingelt ja wieder ganz früh der Wecker. Daher wäre die Winterzeit für unsere innere Uhr die natürliche Zeit, die unserem Biorhythmus besser entspricht.

Was ist eigentlich guter Schlaf?

Der Schlaf war gut, wenn wir morgens aufwachen und vielleicht nach einem kurzen Übergang wach und leistungsfähig sind, uns gut konzentrieren können und uns frisch und ausgeschlafen fühlen. Wir brauchen keine Fitnessarmbänder oder Ähnliches, die uns darüber Auskunft geben, wie denn der Schlaf gewesen sei. Sie messen die Qualität des Schlafes über die Bewegungshäufigkeit und, wenn es hochkommt, noch über den Puls und damit können wir die Qualität des Schlafes eigentlich gar nicht beschreiben. Aber wir sind so ein bisschen eine technikgläubige Gesellschaft und manche fühlen sich erst dann morgens gut, wenn das Fitnessarmband gesagt hat, der Schlaf wäre gut gewesen, wenngleich er vielleicht ganz schlecht war.

Kann man richtig schlafen lernen – oder wieder erlernen?

Unbedingt! Meist sind es innere Fehlhaltungen, die dem Menschen den Schlaf rauben. Das heißt, wenn wir abends nicht innerlich Feierabend machen, wenn wir die großen und kleinen Sorgen des Lebens mit ins Bett nehmen, dann spannt uns das an, dann wühlt uns das gedanklich und gefühlsmäßig auf. Und diese Anspannung ist der Feind des Schlafes. Daher ist es wichtig, dass wir tatsächlich wieder lernen, abends den Tag abzuschließen, uns zu entpflichten und entspannt und gelassen ins Bett zu gehen. Darüber hinaus ist es wichtig, dass man sich nicht unter Druck setzt mit dem Schlafen. Denn Druck ist Anspannung. Und sie wissen schon: Anspannung macht schlaflos. Viele Menschen verhalten sich auch am Abend falsch. Sie essen beispielsweise zu spät, zu viel, zu schwer.

Wie sollte denn das ideale Schlafzimmer sein. 17 Grad, absolut dunkel und still?

Das ist zweitrangig. Wichtig ist, dass wir uns auf der körperlichen Ebene im Schlafzimmer entspannt fühlen. Außerdem sollte das Schlafzimmer eine Wohlfühloase sein, welche uns beim Abschalten vom Alltag unterstützt. Deswegen sollten Alltagsgegenstände, vor allem berufliche Unterlagen, dort nicht vorhanden sein. Viele Menschen fühlen sich wohl, wenn es dunkel ist, ich sehe es nicht als zwingend erforderlich an. Denn wenn wir schlafen, haben wir die Augen zu und es ist dunkel. Ganz wichtig: Im Schlafzimmer sollten Smartphones und Tablets tabu sein. Wenn wir kurz vor dem Einschlafen surfen und chatten, dann wühlt uns das wieder auf und ist kontraproduktiv für den Schlaf.

Was raten Sie Paaren, getrennt oder zusammen schlafen?

Erlaubt ist, was gefällt. Vielen gibt das gemeinsame Schlafen Sicherheit und Geborgenheit. Dieser Gefühlszustand ist perfekt zum Einschlafen. Aber manchmal wird der Mensch, den man doch liebt, zum Feind im Bett. Dafür gibt es dann viele Ursachen. Der eine ist Lerche, der andere Eule. Der eine will noch lesen, der andere will es gleich dunkel haben. Einer muss nachts ständig raus, der andere wälzt sich wiederum von links nach rechts. Und dann gibt’s diejenigen, die schnarchen und schnaufen und im Schlaf sprechen. Für all diese Fälle würde ich getrennte Schlafzimmer empfehlen, auf lange Sicht ist das wohl für die Beziehung besser.

Schnarchen ist ja oft auch ein Zeichen für ein größeres Problem, die Schlafapnoe.

Bei der Schlafapnoe ist es so, dass es während des Schlafs immer wieder zu Atemstillständen kommt. Diese Atemstillstände beendet der Körper selber wieder, man kann nicht daran ersticken. Aber diese ständigen Weckreaktionen, durchaus 30- bis 60-mal pro Stunde, verhindern einen erholsamen Schlaf. Deswegen ist die Schlafapnoe ein großer Risikofaktor für müdigkeitsbedingte Unfälle.

Wer nachts schlecht schläft, ist tagsüber anfällig für Sekundenschlaf. Warum kommt der so plötzlich, man merkt doch, dass man müde wird?

Müdigkeit am Steuer ist ein langsamer Prozess. Die Müdigkeit kommt heimtückisch, für viele unbemerkt. Man gewöhnt sich so langsam an diesen Zustand und viele Menschen, das wissen wir von Studien, kennen die frühen Anzeichen von Müdigkeit gar nicht.

Was sind diese Anzeichen?

Man entwickelt einen Tunnelblick, kann sich nicht mehr richtig gut daran erinnern, wie man gerade gefahren ist und wie denn die Verkehrssituation war. Man kann es auch daran merken, dass man vielleicht öfter gähnen muss, dass die Augenlider schwer werden und man vermehrt blinzelt.

Was halten Sie von Müdigkeitswarnern?

Diese Systeme sind fehlerbehaftet. Sie können eine sinnvolle Unterstützung sein, aber sie sind kein Garant gegen das Einschlafen am Steuer und sollten deshalb nicht überbewertet werden.

Was hilft, wenn ich müde werde, die letzten hundert Kilometer aber noch weiterfahren will? Fenster auf, Musik laut und Kaffee?

Nein, das hat so gut wie keinen Effekt. Gegen Müdigkeit hilft nur Schlaf. Das heißt, Sie sollten die Fahrt unterbrechen und nach Möglichkeit ein kleines Nickerchen machen, das kann Wunder bewirken. Schon zehn Minuten Schlaf machen uns für ein, zwei Stunden wieder ausreichend wach. Länger schlafen sollte man nicht, sonst kommt der REM-Schlaf und der bewirkt das Gegenteil. Wir werden noch müder und träger.

Und wie steuert man die Schlafdauer? Wecker stellen nützt ja nichts, wenn ich länger brauche, um einzuschlafen.

Es kann helfen, etwa einen Schlüssel in die Hand zu nehmen und festzuhalten. Wenn wir dann eingeschlafen sind und in das Schlafstadium zwei kommen, wenn die Muskelspannung nachlässt, dann fällt der Schlüssel auf den Boden und weckt uns. Optimal ist es, das wissen wir aus Studien, wenn wir vor dem Nickerchen eine Tasse Kaffee trinken. Das Koffein braucht etwa 20 bis 30 Minuten, bis es wirkt. So haben wir mit Kaffee und Nickerchen die doppelte erfrischende Wirkung und dann kann es besser weitergehen. Ein Problem ist aber, dass viele nicht an der lauten Autobahn schlafen können. Dann hilft Bewegung. Auch das macht vorübergehend wach, hat aber nicht diese optimale Wirkung wie das kurze Schläfchen.

Wie machen das Fernfahrer? Die müssen jede Nacht an der lauten Autobahn schlafen.

Wir alle hören jede Woche in den Nachrichten, dass wieder ein Fernfahrer ungebremst auf ein Stauende aufgefahren ist. Das deutet immer sehr stark darauf hin, dass da jemand die Verkehrssituation nicht mehr wahrgenommen hat. Es mag auch sein, dass er am Handy gespielt hat, aber die Wahrscheinlichkeit, dass er eingeschlafen ist, ist groß. Fernfahrer müssen am Straßenrand schlafen. Dort ist es laut, teilweise hell, im Sommer zu heiß, im Winter zu kalt. Ich kenne Fernfahrer, die mir schildern, dass sie im Winter nur mit drei Decken irgendwie Wärme finden. Wir hätten zwar die Möglichkeit der Standklimaanlagen, aber da wird gespart. Auf Kosten des Schlafes der Fernfahrer und damit auf Kosten der Verkehrssicherheit. Wir haben eine Studie gemeinsam mit dem DVR gemacht, da sagen 46 Prozent der Fernfahrer, dass sie bereits mindestens einmal am Steuer eingeschlafen sind.

Klingt nach akutem Handlungsbedarf!

Eine Grundvoraussetzung wäre eine Standklimaanlage. Dann wäre es wichtig, das ist in der ernsthaften Diskussion, dass man ihnen andere Schlafmöglichkeiten bietet. Vor allem am Wochenende sollten sie von der Straße weg, sodass sie tatsächlich Erholung haben, wie andere Arbeitnehmer auch. Ideal wäre, dass man ihnen Hotels oder Ähnliches anbietet, wo sie eben ein richtiges Bett haben und sich erholen können.

Da fehlt natürlich die komplette Infrastruktur. Und Speditionen legen Wert darauf, dass die Fahrer bei ihren Lkw sind, da Ladungsdiebstahl auch ein großes Problem ist.

Wir müssen letztendlich abschätzen, was uns wichtiger ist, Ökonomie oder Menschenleben. Wir können belegen, dass viele tödliche Unfälle durch Übermüdung am Steuer passieren. Natürlich kostet das die Unternehmen und damit auch die Kunden Geld. Aber letztendlich haben auch Fernfahrer ein Anrecht auf gewisse Lebens- und Arbeitsbedingungen. Mein Appell an die Politik: Nehmen Sie sich dieses Themas endlich an! Es sei denn, Sie wollen diese Verkehrstoten weiterhin einfach so in Kauf nehmen.

Regeln für einen erholsamen Schlaf (pdf)

Der Diplom Psychologe und Somnologe Dr. Hans-Günter Weeß, Jahrgang 1963, ist Leiter des Interdisziplinären Schlafzentrums des Pfalzklinikums in Klingenmünster. Er ist in der Aus- und Weiterbildung von Schlafmedizinern tätig und unterrichtet an verschiedenen Hochschulen. Außerdem ist er im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) sowie in der Expertenkommision der Bundesanstalt für Straßenwesen. Weeß ist Autor mehrerer Bücher zum Thema Schlaf, sein neuestes Buch „“Schlaf wirkt Wunder“ ist Anfang November 2018 erschienen. Hans-Günter Weeß lebt in Partnerschaft und hat einen erwachsenen Sohn.