29.03.2017

Versicherung – fingierte Unfälle

Bis zu zwölf Prozent aller Crashs auf deutschen Straßen könnten auf das Konto von Betrügern gehen. Die Versicherungen rüsten auf.

Über 20 Unfallschäden in zwei Jahren verursachte eine Bande Autobumser in einer norddeutschen Großstadt. Die Masche der Täter war immer gleich. Sie spähten Alleinfahrer mit auswärtigem Kennzeichen aus, nutzten die Unsicherheit der Ortsunkundigen und provozierten auf einer mehrspurigen Straße einen Unfall. Dabei fuhren sie den Opfern meist mit hoher Geschwindigkeit in die Seite und behaupteten, die Autofahrer hätte urplötzlich die Fahrbahn gewechselt.

„Wir sind den Tätern erst durch Zufall auf die Spur gekommen, weil zwei Opfer hartnäckig bei iner anderen Schadenschilderung blieben“, sagt der Ermittler eines nordrhein-westfälischen Versicherers, der seinen Namen nicht veröffentlichen möchte, da das Verfahren gegen die Täter noch läuft. Mit der umfangreichen Unfalldokumentation aus zwei Fällen, der Hilfe der Polizei und Daten aus dem Hinweis- und Informationssystem (HIS) der Versicherungswirtschaft konnten die betroffenen Assekuranzen weitere provozierte Unfälle derselben Täter entdecken.

Bei fingierte Unfällen ist Beweislage schwierig

Doch solche Fälle bleiben oft Zufallserfolge. Die Beweislage für die eigentlichen Opfer ist schwierig. „Wir registrieren, dass Unfallprovokationen nach wie vor an der Tagesordnung sind“, sagt Kai Kunte von der Allianz Versicherung. Genaue Zahlen gibt es aber nicht. „Die Datenlage ist recht dürftig und die Dunkelziffer vermutlich sehr hoch“, bestätigt Sabine Friedrich von der Axa Versicherung. In den meisten Fällen erfolge eine Regulierung nach dem Grundsatz des „Beweises des ersten Anscheins“ – und da der Unfallprovozierer meist versuche, eine klare Verkehrsregelung zu nutzen, die durch das Opfer vermeintlich missachtet wurde, sei die Aufklärung häufig schwer. „Hinzu kommt, dass die Opfer oft von einem eigenen Fehlverhalten ausgehen und die Provozierung überhaupt nicht bemerken, sodass wir von unserem Versicherungsnehmer keine Hinweise auf einen Betrug erhalten“, beklagt Friedrich.

Nach Erkenntnissen von Praktikern aus den Schadenabteilungen der Versicherer ist zudem die Online-Auskunftei HIS, vor allem wenn es um die Entdeckung von Serientäter geht, vielfach zu langsam. „Bis wir einen Treffer landen, haben die Täter oft schon für mehrere Schäden kassiert“, sagt der Betrugsexperte aus Nordrhein-Westfalen. Bei Auffälligkeiten im Schadenablauf dürfen die Versicherer personenbezogene Daten ins HIS eingeben. Hierfür müssen sie aber einen Kriterienkatalog erfüllen. Erst wenn 60 Punkte erreicht werden, darf eine Eintragung erfolgen. Schneller könnten Täter hingegen verfolgt werden, wenn die Fahrzeugsuche im HIS verbessert würde. Die Eingabe des Fahrzeuges ist bereits möglich, wenn der Geschädigte das Fahrzeug nach einem Unfall nicht in die Werkstatt bringt und reparieren lässt, sondern per Gutachten abrechnet. Rechtlich ist die sogenannte fiktive Abrechnung erlaubt. Der Geschädigte hat nach einem Schaden die Freiheit, den Wagen auch selbst zu reparieren.

Betrüger nutzen fiktive Abrechnung

Nach Erkenntnissen der Versicherer wird die fiktive Abrechnung aber vielfach von Betrügern genutzt, um sich illegal zu bereichern. Die Fahrzeuge werden dann nur notdürftig instand gesetzt und für den nächsten provozierten Unfall genutzt. Daher melden Kfz-Versicherer das Fahrzeug ins HIS, wenn der fiktiv abgerechnete Schaden 2500 Euro übersteigt. Nach Auskunft des Betrugsexperten einer süddeutschen Versicherung findet die Eingabe der unverwechselbaren Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) ins HIS bei fiktiver Abrechnung meist automatisch statt. Das passiert aber in der Regel erst, wenn der Fall fast abgeschlossen ist, weil ein Gutachten eingereicht wurde. Nun wünschen sich die Praktiker, dass beim HIS grundsätzlich die „Warnlampen“ angehen, wenn mehrere Betrugssachbearbeiter unterschiedlicher Versicherer im gleichen Zeitraum nach einer bestimmten FIN-Nummer suchen. Noch besser wäre es, so der Betrugsspezialist, wenn jeder Unfallschaden automatisch ins HIS gemeldet werden dürfte.

Doch auch wenn Autobumser-Banden künftig schneller identifiziert werden könnten, müssen Autofahrer weiterhin den Stein alleine ins Rollen bringen. Grundsätzlich sollten sie Unfälle, bei denen sie ein komisches Gefühl haben, ganz besonders umfangreich per Handyfotos dokumentieren. Das gilt vor allem für die Endstellung der Fahrzeuge sowie die Schäden und Splitterverteilung. Zudem sollte man das gegnerische Fahrzeug rundum aufnehmen. Denn oft können so Vorschäden – die möglicherweise der Versicherung gar nicht gemeldet wurden – festgehalten werden.

Unfälle sollten genau dokumentiert werden

Die Betroffenen sollten auch unbedingt die Polizei hinzuziehen, selbst wenn man damit ein Bußgeld riskiert. „Die Polizei kann erst einmal nur aufgrund des ersten Anscheins entscheiden“, so ACE-Vertrauensanwältin Gesine Reisert. In der Regel würden aber durch ihr Protokoll wichtige Daten gesichert und auch Hinweise auf fremdes Verschulden dokumentiert. „Ganz wichtig ist es, die eigene Versicherung darauf hinzuweisen, dass es sich möglicherweise um einen provozierten Unfall handelt“, so die Juristin.

In der Regel erfolgt aufgrund eines Anfangsverdachts eine professionelle Prüfung des Unfalls. Wichtig sind Angaben darüber, ob der Unfallbeteiligte hätte bremsen oder ausweichen können oder ob er sogar sein Fahrzeug beschleunigt hat. Auch wenn es zu Auffälligkeiten zwischen Schilderung des Schadens und Schadenbild kommt, werden die Betrugsexperten der Versicherer aktiv. Das kann sich lohnen, denn der Verlust des Schadenfreiheitsrabatts in der Kfz-Haftpflicht- und Vollkaskoversicherung ist teuer. „Scheitern Betrüger, die einen Unfall provoziert haben, mit ihrer unberechtigten Forderung vor Gericht, dann stellen wir unsere Kunden natürlich wieder so, als hätte der Unfall gar nicht stattgefunden. Sie sind ja vollkommen unschuldig“, erläutert Axa-Sprecherin Friedrich.

Das sind die typischen Methoden der Autobumser:

  • Trick 1: Die Täter nutzen ihnen bekannte Besonderheiten der Verkehrsführung aus (z.B. Fahrbahnverengungen oder Kreisel) und erzwingen beim Spurwechsel einen Streifschaden.
  • Trick 2: Die Täter provozieren einen Auffahrunfall, indem sie bei einer Ampel, die von Gelb auf Rot schaltet, im letzten Moment abrupt bremsen.
  • Trick 3: Die Täter warten an einer Kreuzung mit „Rechts vor links”-Regelung gezielt auf ein Fahrzeug, um dann im letzten Moment noch in die Kreuzung einzufahren.