26.07.2021

Mit dem Elektro-Gespann über die Alpen

Drei Jahre nach der Präsentation des E-Wohnwagens E-Home Coco hat sich der Allgäuer Caravaning-Hersteller Dethleffs der Herausforderung gestellt, mit einem rein elektrisch betriebenen Gespann eine fast 400 Kilometer lange Alpenüberquerung ohne Zwischenladung zu absolvieren.

In einem gemeinschaftlichen Entwicklungsprojekt haben der Caravaning-Hersteller Dethleffs in Kooperation mit dem Technologiekonzern ZF Friedrichshafen eine Alpenüberquerung von Isny im Allgäu bis nach Riva am Gardasee mit einem rein elektrisch betriebenen Caravan-Gespann ohne nachzuladen abgeschlossen. Hinter einem Audi e-tron als Zugfahrzeug kam mit dem E-Home Coco erstmals ein Wohnwagen mit einer angetriebenen Achse zum Einsatz.

Der erste Anlauf 2018 scheiterte

Bereits 2018 hatte Dethleffs auf dem Düsseldorfer Caravan Salon den Prototypen eines E-Coco-Caravans mit eigenem elektrischem Antrieb vorgestellt, damals noch am Haken eines BMW i. Und zum Zeichen, dass das System funktioniert, sollte möglichst bald eine Alpenüberquerung ohne Nachladung durchgeführt werden. Die technische Umsetzung entpuppte sich allerdings als deutlich komplexer als angenommen, denn der erste Entwurf, den Wohnwagen mit Batterien vollzupacken, die unterwegs für das Zugfahrzeug als Range Extender fungierten, wurde schnell verworfen. Es fehlte eine Schnittstelle zwischen Auto und Wohnwagen, außerdem ließ sich keine Moover-Funktion (Fernsteuerung zum Rangieren des Anhängers) einbinden.

2021 unterwegs mit neuem System

So gingen drei Jahre ins Land, bis der mit Messgeräten vollgepackte Audi e-tron mit dem per Einzelzulassung angemeldeten E-Home Coco in Isny auf die Reise geschickt wurden. An Bord ein völlig neues System mit zwei 40-kWh-Batterien im Front- und Heckbereich des Wohnwagens, zwei getrennte Radmotoren an der angetriebenen Achse, eine Steuereinheit und etliche technische Komponenten mehr. Allein die Akkus bringen 600 Kilogramm mehr auf die Waage.

Der Antrieb des Caravans gleicht den höheren Verbrauch des Zugfahrzeuges aus

Die Normreichweite das großen Audi-SUV mit der stärkeren 95-kWh-Batterie wird mit rund 400 Kilometern angegeben. Das Gewicht eines Caravans und der erhöhte Luftwiderstand reduzieren die Reichweite des Zugfahrzeugs allerdings um bis zu 50 Prozent, unter ungünstigen Umständen eher noch mehr. Um die 386 Kilometer über den Fernpass und den Brenner zu schaffen, musste der E-Coco also so viel Unterstützung leisten, dass der elektrische Antrieb des Anhängers den höheren Energieverbrauch durch den Anhängerbetrieb kompensieren kann und der E-Audi die gewohnte Reichweite auch mit Caravan im Schlepp erreicht.

Trotz Gegenwind schafft das Gespann die Strecke ohne Nachladen

Mit 80 bis 84 km/h auf der Autobahn und einem Gesamtschnitt von 62,3 km/h fährt das vollelektrische Gespann nach Süden. 4.870 Höhenmeter fordern die Akkus heraus, während auf 5.480 Bergab-Metern immerhin wieder elf (Audi e-tron) beziehungsweise sechs Prozent (E-Coco) der Batterieladung via Rekuperation zurückgewonnen werden. Allerdings bremst starker Gegenwind auf der Abfahrt vom Brenner nicht nur das E-Gespann, sondern auch zunächst den Optimismus des Dethleffs-Team. Zu Unrecht, wie sich zeigt. Mit einer Rest-Akkukapazität von 13 (Audi) und 6,5 Prozent (Coco) wird Riva am nördlichen Gardasee-Ufer erreicht.

Der elektrisch angetriebene Coco verbessert Fahrgefühl und Fahrsicherheit

Sechs Stunden und zwölf Minuten benötigt das Elektro-Gespann für die 386 anspruchsvollen Kilometer und lässt die Entwicklungsingenieure von Dethleffs, ZF und der Erwin-Hymer-Gruppe jubeln. Die Gesamtbilanz: 82 kWh verbrauchte Energie beim Zugfahrzeug und 74 kWh beim E-Caravan. Doch der elektrisch angetriebene Coco beeinflusst die Fahrt nicht nur hinsichtlich der Reichweite, sondern auch durch ein neues Fahrgefühl und erhöhte Fahrsicherheit. Die Eindrücke: Eine Beschleunigung wie ein Solofahrzeug, eine deutlich verbesserte Spurstabilität in Kurven dank des tiefen Schwerpunkts und ein sicherer Geradeauslauf, weil das Gespann auch bei Bergabfahrten stets gestreckt bleibt. Und das ist nicht nur ein Gefühl, das ist tatsächlich messbar.

Bis zur Serienreife dauert es wohl noch drei Jahre

Dr. Rüdiger Freimann aus dem Entwickler-Team der Erwin-Hymer-Gruppe und sein ZF-Kollege Udo Gillich sind sich jedenfalls einig, dass Caravan-Reisen mit rein elektrischen Gespannen in Zukunft nicht nur möglich sein werden, „sie werden auch zu einem uneingeschränkten Fahrvergnügen mit maximaler Sicherheit“. Bis zur Serienreife wird man allerdings noch mindestens drei weitere Jahre warten müssen.

Kleinere Batterie, Schnellladen und Smart-Home – vieles ist noch möglich

„Im Serien-Wohnwagen brauchen wir sicher nicht so eine große Batterie“, erklärt Freimann. Eine Kapazität von 20 kWh könnte da schon reichen. Aus Gewichtsgründen, und weil die Batterie die teuerste Komponente des Systems ist. Und ob die Schnelllade-Möglichkeit bis 50 kW wie im Prototyp ausreicht oder erhöht werden sollte, ist auch noch offen. Die Einbindung in das heimische Netzwerk, Stichwort Smart-Home, könnte zudem in beiden Richtungen erfolgen. So könnte der E-Caravan über die eigene Solaranlage aufgeladen werden, andererseits gespeicherten Strom aber wieder an den Haushalt abgeben. Die Moover-Integration funktioniert schon heute.

Das EU-Recht verbietet derzeit noch Wohnwagen mit Antrieb

Eine weitere hohe Hürde ist allerdings auch noch auf der Gesetzesebene zu überwinden. Nach EU-Recht dürfen angetriebene Wohnanhänger nämlich überhaupt nicht zugelassen werden. Allenfalls im Wege der Einzelabnahme oder für Kleinserien bis 1.500 Exemplare. Dethleffs-Chef Alexander Leopold schätzt es aber als realistisch ein, dass sich das in den nächsten drei Jahren ändern könnte: „Weil es in die Zeit passt und für eine elektromobile Zukunft einfach notwendig ist.“

In den USA sind Caravans mit selbst angetriebener Achse bereits erlaubt

In den USA gibt es bereits entsprechende Gesetzesregelungen, weshalb der Kultwohnwagen Airstream Ende September bereits mit selbst angetriebener Achse vorgestellt wird. Airstream ist ebenfalls eine Marke von Thor Industries, dem weltweit größten Hersteller von Freizeitfahrzeugen, zu dem auch die Erwin-Hymer-Gruppe gehört.

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