Roadtrip zur COP26: Elektrisch 1.000 Kilometer pro Tag – geht das?
Der Elektrofahrer-Weltverband (GEVA) hat eine Sternfahrt aus 11 europäischen Ländern ins schottische Glasgow zur diesjährigen Klimakonferenz (COP26) organisiert, ich durfte eines der deutschen Teams begleiten. Bis auf eine Renault Zoe (die nur bis Brüssel mitgefahren ist) und einen Kia e-Niro (der mit der Route Slowenien-Glasgow wohl eine der weitesten Strecken hatte), waren die restlichen Teams alle in Teslas angemeldet, das schien mir zu langweilig: Dass Teslas langstreckentauglich sind, ist hinreichend bekannt – und ich wollte nicht ein weiteres Model 3 mitbringen, sondern herausstechen. Was liegt da näher, als für ein deutsches Team auch ein deutsches Auto zu nehmen? Also fiel meine Wahl auf einen VW ID.3, den wollte ich ohnehin mal noch längere Zeit unter schwierigen Bedingungen testen. Dankenswerterweise hat mir Volkswagen hier geholfen und mir einen ID.3 mit 77-kWh-Akku zur Verfügung gestellt.
Fehlten noch Co-Piloten, denn München-Glasgow und zurück sind an die 4.000 km, das wollte ich schon aus physischen Gründen nicht alleine fahren und es wäre ja auch furchtbar langweilig gewesen. Wie bei vielen anderen Dingen auch erwies sich Twitter als sehr hilfreich und ich habe mir zwei absolute Profis an Bord geholt: Johannes Schleicher (27) ist ein Kenner des ID.3, weil er einer der ersten Kunden der First Edition war und Felix Hamer (38) weiß wie kein Zweiter, mit welchen Ladekarten und mit welchen Apps man sich am besten durch welches Land bewegen kann.
Was liegt da näher, als für ein deutsches Team auch ein deutsches Auto zu nehmen? Also fiel meine Wahl auf einen VW ID.3, den wollte ich ohnehin mal noch längere Zeit unter schwierigen Bedingungen testen.
Gemütliche Anreise
Los ging es zunächst für Johannes und mich in München am 27.10. sehr früh am Morgen. Über zwei sehr kurze Ladestopps bei Fastned und Ionity erreichen wir den Ladepark am Kreuz Hilden (einer der größten in Deutschland), wo wir auf weitere Teilnehmer trafen und bei hervorragendem Essen aufgeladen haben. Am Abend sind wir dann noch bis Brüssel gefahren, wo die restlichen Festland-Europäer erstmals zusammentrafen und die Aufkleber verteilt wurden; ab jetzt waren wir mit warming stripes, GEVA-Logo und der jeweiligen Landesflagge unterwegs. Am Brüsseler Atomium waren das Flaggen aus den Niederlanden, Belgien, Italien, Spanien, Portugal, Frankreich, Slowenien, Schweden und natürlich Deutschland.
Gemeinsam sind wir am nächsten Tag mit dem Autozug durch den Eurotunnel gefahren und waren bereits um 07:25 in England. Ab hier wurde es dann erstmals spannend beim Laden: in Europa haben wir nur meine private EnBW-Ladekarte genutzt, was überall problemlos funktioniert hat.
Größter Ladepark des Landes
Auf der Insel ging dann aber mit der europäischen Ladekarte nichts mehr. Für den ersten Ladestopp in Braintree haben wir keine Ladekarten gebraucht, Gridserve hatte uns in seinen Ladepark eingeladen und die Säulen freigeschaltet. Dort stehen 12 (!) 350 kW-Ladestationen unter einem großen Dach und nochmal genau so viele mit 90 kW, das war ein spannender Ausblick auf die Zukunft des Ladens. Im Gegensatz zu allen anderen Ladestationen, die ich bisher erlebt habe, stand dieser Ladepark nicht alleine in der Landschaft, sondern hatte ein eigenes Rasthaus dabei.
Dort gibt es ein Café, Meetingräume, einen großen Lounge-Bereich und sogar zwei Indoor-Fahrräder, um die auf einem langen Trip oft fehlende Bewegung nachzuholen.
Braintree war die mit Abstand beste Ladestation, danach waren unsere Erfahrungen wieder sehr „deutsch“: Einzelne Ladestationen oder maximal eine Hand voll Ladepunkte, keine Überdachung und auf Rastplätzen auch nicht immer die beste Lage. Ich will darüber nicht meckern, funktioniert hat das meiste trotzdem. Aber Gridserve in Braintree hat sehr anschaulich gezeigt, wie Ladeparks aussehen müssen, damit Menschen Ladestopps als etwas Tolles empfinden, da brauchen wir definitiv mehr davon!
Gratisstrom
Über einen weiteren Zwischenstopp bei einem deutschen Hersteller smarter Wallboxen kamen wir in Kingston upon Hull an. Hier konnten wir auf einem öffentlichen Parkplatz wieder kostenlos laden – wenn auch nur mit 3,7 kW, aber über Nacht haben wir so trotzdem eine halbe Akkuladung bekommen, das nimmt man gerne mit.
An Tag 3 haben wir uns eine Zeit lang von der Gruppe getrennt und sind über Landstraßen gefahren, um in der schönen herbstlichen und hügeligen Landschaft ein paar Bilder mit unserem Auto einzufangen. Gemeinsam mit den anderen Fahrern folgte ein Zwischenstopp bei Britishvolt, um die Baustelle einer Batteriefabrik zu besichtigen. Danach überquerten wir die Grenze zu Schottland, wo sich das Laden grundlegend änderte. Während wir in England überall mit der WeCharge-Ladekarte unseres französischen Mitfahrers Loic durchgekommen sind – damit war das Laden kostenlos, ansonsten hätten wir Shell Recharge genutzt – ging in Schottland alles zentral mit der „ChargePlace Scotland“ App, mit den Zugangsdaten der EVA Scotland sogar kostenlos!
Beim Verbrennerausstieg ist Norwegen ein Vorbild für die ganze Welt, von denen können wir viel lernen.
Vorbild Norwegen
Da Glasgow komplett ausgebucht war, übernachteten wir im kleinen Falkirk, um dort am nächsten Morgen Fotos bei den „Kelpies“ (riesige Pferdeskulptur) zu machen. Danach ging es nach Glasgow hinein, wo wir einigen interessanten Vorträgen lauschen durften. Der für mich beste war der von Sveinung Kvalø vom norwegischen Elektrofahrerverband (Norsk elbilforening): Privatkunden kaufen signifikant mehr Elektroautos als Gewerbliche, Spitzenreiter ist Oslo mit einem BEV-Anteil an den privaten Neuzulassungen von 96 %.
Trotzdem ist in Oslo weder das Stromnetz zusammengebrochen, noch bilden sich dort Schlangen an den Ladesäulen – es funktioniert einfach. Beim Verbrennerausstieg ist Norwegen ein Vorbild für die ganze Welt, von denen können wir viel lernen.
Während wir schon wieder auf dem Rückweg Richtung Süden waren, blieb eine kleinere Delegation unserer Gruppe noch auf der Klimakonferenz und verbreitete dort die Botschaft unserer Reise. Zum Abschluss der Konferenz unterzeichneten viele unterschiedliche Akteure einen Aufruf, in den 2030ern aus dem Verbrennungsmotor auszusteigen.
Wir haben mit unserem 4.000-km-Roadtrip ein Stück weit dazu beigetragen, Elektroautos als absolut alltagstaugliche Alternative zu Benzin- und Dieselautos ernst zu nehmen. Und zwar nicht nur mit einem Tesla und auch in einer größeren Gruppe.
Zügige Rückfahrt
Während wir uns für den Hinweg vier Tage Zeit ließen, haben wir den Rückweg in zwei Tagen geschafft: Nach einer weiteren Übernachtung ging es morgens in der Nähe von Glasgow los und spätabends durch den Eurotunnel mit einer Übernachtung in der Nähe von Calais weiter und am zweiten Tag via Tilburg zurück bis nach München.
Sechs Tage nach unserer Abfahrt waren Johannes und ich wieder in München, ziemlich erschöpft, aber auch glücklich über die vielen Eindrücke und stolz darauf, wie toll dieser Trip funktioniert hat, obwohl manches doch mit sehr heißer Nadel gestrickt war.
Entspanntes Reisen ohne Zwischenfälle
Der ACE hat mich gebeten, auch offen über Probleme zu schreiben, die es gab. Das würde ich gerne machen, aber wirklich ernsthafte Beeinträchtigungen hatten wir gar nicht: Schlangen an den Ladesäulen? Fehlanzeige. Da wir nicht immer als geschlossene Kolonne, sondern einen Tick zeitversetzt ankamen, gab es selten Wartezeiten – die längste betrug fünf Minuten. Problematisch waren vor allem Ionity Ladesäulen, denn im Schnitt waren bei jedem Standort 1-2 von 6 Säulen außer Betrieb. Da die restlichen 4-5 aber tadellos funktionierten, war das kein großes Problem. Dank des britischen Tempolimits von 70 mph (112 km/h) ist die Reichweite jedes Elektroautos signifikant besser als in Deutschland, trotz widriger Witterungsbedingungen waren für uns 450 km am Stück kein Problem. Danach braucht man wirklich eine Pause und so waren wir nicht viel länger unterwegs als mit einem Verbrenner.
Ein bisschen mehr Aufwand als mit einem konventionellen Auto macht vor allem die Planung der Stopps, 100 % ausgereift ist der Ladeplaner im ID.3 nämlich noch nicht. So fehlt beispielsweise die Option, bestimmte Anbieter oder Säulen unter 100 kW Ladeleistung aus der Ladeplanung auszuschließen. Aber einen Ladestopp alle 400-500 km kann man auch von Hand planen, wir haben unter anderem Shell Recharge und eben die oben erwähnte Chargeplace Scotland App dafür genutzt, das hat tadellos funktioniert. In Zukunft erwarte ich, dass die Ladeinfrastruktur nochmal deutlich besser wird, denn das Thema boomt in England und Schottland gerade wirklich, sicher getrieben durch die Benzinknappheit. Es verging kaum ein Ladestopp, bei dem wir nicht angesprochen worden sind und sehr erstaunt darauf reagiert wurde, welche Strecke wir zurücklegen.
Nachfahren empfohlen!
Die wichtigsten Tipps zum Nachfahren: Recherchiert die für Euch passende Ladekarte, viele funktionieren grenzüberschreitend, aber über die Vielzahl an Tarifen habe ich keinen Überblick. Wir haben Shell Recharge und Volkswagen WeCharge benutzt, es gibt aber auch zahlreiche Alternativen, die gut funktionieren. Überprüft auch bei Ionity vorher per App, ob genug Ladestationen tatsächlich online sind und ladet insbesondere für Schottland die ChargePlace Scotland App herunter – dann kann nichts schiefgehen.
Großbritannien ist trotz Brexit immer noch eine Reise wert, ich will dort wieder hin, natürlich mit einem Elektroauto! Aber nächstes Mal werde ich mir etwas mehr Zeit nehmen – dass Glasgow-München vollelektrisch in zwei Tagen machbar ist, haben wir ja jetzt bewiesen.