MERCEDES-BENZ EQA IM TEST

Ein Poser, aber kein Prolo: Mercedes-Benz EQA

Schon von außen ist das vollelektrische Fahrzeug von Mercedes-Benz eine streitbare Erscheinung: Der große Kühlergrill macht ihn dem großen Bruder EQC zum Verwechseln ähnlich, Felgen in Rosé und die LED-Lightshow gefallen zwar nicht jedem, sorgen aber immer für Aufmerksamkeit. Unverkennbar ist er innen wie außen ein echter Mercedes – mit vielen Vor-, aber leider auch einigen Nachteilen.

Weil sich beide Displays mit kleinen Touchpads am Lenkrad bedienen lassen, muss der Fahrer niemals die Hände von selbigem nehmen. Das ist deutlich sicherer als sämtliche andere Lösungen, die ich bisher testen konnte.

Elektro-Robin

Sicherheit geht vor: Hände immer am Lenkrad

Beginnen wir mit dem Positiven: Wie alle Fahrzeuge von Mercedes-Benz hat auch der EQA eine ganze Ladung Assistenten an Bord. Kameras rundherum errechnen das Bild für die 360°-Kamera und an der Ampel wird deren Leuchtanzeige auf das Zentraldisplay übertragen – merkwürdige Verrenkungen, um Rot und Grün zu sehen, gehören so der Vergangenheit an. Abbiegehinweise blendet er in einer Augmented-Reality-Ansicht ein, besser navigieren geht nicht.

Auch das Bedienkonzept überzeugt: Weil sich beide Displays mit kleinen Touchpads am Lenkrad bedienen lassen, muss der Fahrer niemals die Hände von selbigem nehmen. Das ist deutlich sicherer als sämtliche andere Lösungen, die ich bisher testen konnte – seien es Touchscreens oder die altbekannten Dreh-Drück-Regler. Die Bedienoberfläche ist zwar nicht mein Fall, weil da immer noch alles glitzert wie bei Windows Vista und die verschachtelte Menüstruktur etwas unübersichtlich ist. Aber das ergonomische Grundkonzept hat viel Potenzial, wenn die Schwaben in einem Software-Update nochmal gründlich nacharbeiten.


Die nervige, alte Verwandtschaft

Der EQA ist die elektrische Variante des GLA, übernimmt also sehr viele Teile von einer Verbrenner-Plattform.

Besonders plakativ ist das Fehlen eines vorderen Kofferraums, unter der Haube liegt ein ziemlich großer Hohlraum, den man sicher sinnvoller hätte nutzen können. Als deutlich störender hat sich aber die nicht angepasste Software erwiesen, die eben auch aus dem Verbrenner stammt und deswegen einige Eigenheiten hat. Beispielweise gibt es weiterhin sowohl eine „Zündung“ (die ein Elektroauto natürlich gar nicht hat), als auch einen unnötigen Start-Stopp-Knopf, der mich auch nach zwei Wochen noch genervt hat. Hier muss kein Motor angeworfen werden, warum reicht es zum Starten nicht einfach, die Bremse zu treten? Volvo, Tesla und Porsche (um nur einige zu nennen) haben das besser gelöst.

Die Rekuperation ist ebenfalls so ein ausbaufähiger Punkt: Warum merkt sich der Wagen nicht, in welcher Stufe ich ihn gefahren bin? Von Segeln bis hin zu einem Beinahe-One-Pedal-Drive lässt sich mit den Schaltpaddles alles einstellen (gut gelöst!), aber bei jedem Fahrtantritt muss ich von Neuem alle Stufen durchschalten, weil der Wagen sich nicht daran erinnert, dass ich immer die stärkste Stufe benutzen möchte.

Last but not least ist der Ladeplaner zu erwähnen, der zwar Liegenbleiben zuverlässig verhindert, aber leider eine kleine Zicke ist. Sobald ich eine andere Ladestation ansteuere, als er empfohlen hat, dreht er komplett durch und plant völlig absurde Routen. Schade, denn auch hier sind die Ansätze gut, die Ladestandprognose (also wie viel Restreichweite bei Ankunft am Ziel noch übrigbleiben wird) ist nämlich sehr genau.

Gerade auch für Stadtbewohner ist die schnelle Ladung ein wichtiges Feature.

Elektro-Robin

Gute Schnellladefähigkeit entschädigt für vieles

Positiv überrascht hat mich die sehr gute Schnellladung, die zwar keine überragend hohe Spitzenleistung bietet (112 kW in meinem Test), diesen Wert aber sehr lange hält und nicht so stark einknickt wie die Konkurrenz. Dadurch ist die Ladung von zehn auf 80 Prozent in knapp unter 30 Minuten erledigt.

Zwar ist er mit einer Autobahnreichweite von 300 Kilometern (bei gemäßigter Fahrweise) bis 200 Kilometern (bei Vollgas, was abgeregelten 160 km/h entspricht) kein perfektes Langstreckenauto, dank der flotten Ladung aber eben auch nicht nur an die Stadt gebunden. Gerade auch für Stadtbewohner ist die schnelle Ladung ein wichtiges Feature: Wer keinen eigenen Parkplatz hat, steht lieber einmal die Woche für zwanzig Minuten an einer DC-Säule, als abends ewig einen freien Platz an einer der umkämpften AC-Ladestationen suchen zu müssen.

Auch beim Fahren macht er für einen Fronttriebler überraschend viel Spaß. Ampel-Kickdowns gehen zwar nicht ohne durchdrehende Räder, aber der typische Mercedes-Kunde macht auch keine Drag-Races, das ist also ein vernachlässigbares Problem.

Auf der Autobahn beschleunigt er auch über 120 km/h noch gut, bis er bei 160 km/h in den elektronischen Begrenzer rennt. Trotz der SUV-Sitzposition geht die Straßenlage in Ordnung, in der AMG-Variante (Allrad) könnte er ein brauchbarer Alltagssportler sein, da sollten dann auch die Ampelstarts klappen.


Nichts Neues, aber trotzdem solide

Nüchtern betrachtet ist der EQA ein „Weiter-so“-Auto. Die Karosserieform ist zwar eine andere, seine Probleme in der Software und in der schlechten Raumausnutzung kennt man jedoch auch schon von EQV und EQC. Überraschende Neuigkeiten gibt es keine, aber die will die Mercedes-Stammkundschaft ja auch nicht, da soll am besten alles so bleiben, wie es ist.

Mich persönlich haut dieser Wagen nicht vom Hocker, ich finde ihn aber eine gute Option für alle, die elektrisch Mercedes fahren möchten und denen die bisherigen Modelle zu groß waren. Dem Anspruch „das Beste oder nichts“ wird er noch nicht gerecht, diesbezüglich warte ich gespannt auf die elektrische S-Klasse (EQS). Ob die noch eine „Zündung“ haben wird?