PORSCHE TAYCAN IM TEST

Der „kleinste“ Taycan ist der vernünftigste

2,8 Sekunden auf 100 km/h, 761 PS und ein Kaufpreis von über 186.336 €: Das sind die Eckdaten des Taycan in der Turbo S-Variante. Ein Wagen, der sich preislich fernab von jeglicher Sinnhaftigkeit bewegt und dessen Beschleunigung im Alltag sowieso vollkommen überflüssig ist – niemand muss in unter drei Sekunden die 100 km/h erreichen.

Mit dem einfach nur „Taycan“ (ohne Zusätze) genannten, heckgetriebenen Basismodell stellte Porsche im Januar die vierte Modellvariante vor. Mit einem Startpreis von 83.520 € ist der immer noch teuer, aber eben doch für deutlich mehr Kunden erschwinglich als das Topmodell. Das war der Grund für mich, den „kleinsten“ Taycan auf einem Roadtrip gründlich unter die Lupe zu nehmen und zu testen, welche Abstriche man für den im Vergleich zum Turbo S 100.000 € niedrigeren Preis in Kauf nehmen muss.

In Sachen Fahrspaß hängt auch der kleinste Elektro-Porsche die meisten Konkurrenz-Modelle ab.

Elektro-Robin

Der Punch fehlt, schnell ist er trotzdem

Beim Ampelstart ist der Unterschied zwischen den einzelnen Taycan-Modellen am deutlichsten. Turbo und Turbo S hauen den Passagieren den Kopf fast schon brachial gegen den Sitz und selbst im 4S (das kleinste Allradmodell) ist da immer noch ordentlich Power zu spüren. Beim Hecktriebler hingegen passiert beim Kickdown deutlich weniger, die 5,4 Sekunden von 0 auf 100 km/h reißen keinen eingefleischten Elektrofahrer vom Hocker – wer allerdings noch nie elektrisch gefahren ist, den begeistert auch der kleinste Taycan sehr.

Rational gesehen reicht dieser Wert auch vollkommen aus, in der Praxis merkt man davon sowieso wenig: Weder gibt man an jeder Ampel Vollgas, noch muss man beim Auffahren auf eine Autobahn aus dem Stand heraus beschleunigen. Das direkte Ansprechverhalten und die Power auch im oberen Geschwindigkeitsbereich (Zwei-Gang-Getriebe sei Dank) bietet das Einstiegsmodell genauso wie die Topvarianten.


Langstrecke: Laden gut, Verbrauch noch besser

Auch im Hecktriebler bietet Porsche für fast 6.000 € eine größere Batterie an (Nettokapazität 83,7 kWh statt 71 kWh), die sich mit bis zu 270 kW laden lässt.

Das Netz der entsprechenden Säulen wächst rasant, auf meiner Tour durch die Republik habe ich nur noch ein einziges Mal an einer „langsamen“ 150-kW-Säule geladen, ansonsten waren immer 300 kW-Ladestationen angesagt.

Keine Ladepause dauerte länger als 20 Minuten und oft hatte der Wagen schon nach 10 bis 15 Minuten die für die nächste Etappe nötige Energie nachgeladen, während der Fahrer noch bei den üblichen Fastfood-Riesen auf sein Essen wartete.

Positiv überrascht war ich vom relativ geringen Verbrauch, der betrug nach 2.780 Kilometern Testfahrt 28,2 kWh/100 km. Im Vergleich zu anderen Fahrzeugen (oder auch dem von Porsche angegebenen Zykluswert) scheint das viel, allerdings bin ich auch relativ zügig unterwegs gewesen.

Bei gemütlicher Fahrweise lässt sich der Verbrauch leicht unter 20 kWh/ 100 km drücken, meine Praxisreichweite bewegt sich folglich zwischen 300 und 420 Kilometern.

Beim Taycan 4S, dem kleinsten Allradmodell, lag mein Gesamtschnitt bei 32,4 kWh/100 km, der fehlende zweite Motor bringt dem Hecktriebler also 13 Prozent weniger Verbrauch oder umgekehrt entsprechend mehr Reichweite.

Das macht dann zwar nur 10 bis 15 Minuten Unterschied in der Ladezeit, aber der typische Porsche-Kunde kauft den Wagen vermutlich, um eben diese 10 Minuten schneller zu sein und nicht zu langsameren Säulen gelenkt zu werden.

Elektro-Robin

Software bleibt im VW-Konzern ein (lösbares) Problem

So konsequent Porsche ein in fast allen Bereichen perfektes Auto gebaut hat, so ärgerlich bleiben die Defizite in der Software. Der Ladeplaner verhindert zwar zuverlässig das Liegenbleiben, was viel wert ist, aber die optimale Reisezeit holt er leider nicht heraus.

Er will immer wieder zu „langsamen“ 150-kW-Ladestationen fahren, an denen die 270 kW Peak-Ladeleistung überhaupt nicht genutzt werden können. Das macht dann zwar nur 10 bis 15 Minuten Unterschied in der Ladezeit, aber der typische Porsche-Kunde kauft den Wagen vermutlich, um eben diese 10 Minuten schneller zu sein und nicht zu langsameren Säulen gelenkt zu werden.

Auch die App ist ausbaufähig, vor allem die Live-Verbindung zum Auto, die leider meist nicht live ist, sondern einen mehr oder weniger veralteten Status zeigt, auf dem Ladestand und GPS-Position nicht mit der Realität übereinstimmen. Beim Ladestopp ist das egal, weil das Auto sowieso schneller lädt als man gucken kann, aber wenn man den Wagen auf einem großen Parkplatz verloren hat, bringt es einem nichts, wenn die App ihn immer noch 200 Kilometer entfernt auf der A2 anzeigt.

Ich sehe aber in diesem Punkt ernsthaft Licht am Ende des Tunnels: Seit meinen ersten beiden Taycan-Tests, die neun und dreizehn Monate her sind, gab es deutliche Verbesserungen.

So läuft z. B. die Bluetooth-Verbindung zu meinem Smartphone nun reibungslos, die Displays waren gefühlt nicht mehr ganz so heiß und alles läuft ein bisschen flotter, auch wenn die Navikarte immer noch eine Ruckelpartie ist und das System öfter mal eine (kurze) Gedenksekunde braucht.

Das Thema ist bei Porsche und im ganzen VW-Konzern bekannt und als sehr wichtig eingestuft, die Frage ist, ob sie es zeitnah schaffen, alle Probleme zu beheben. Daran gearbeitet wird auf jeden Fall.

Für Langstreckenfahrer die beste Wahl innerhalb der Taycan-Palette

Mit Blick auf die Konkurrenz lässt sich der Taycan durch die nackten Zahlen schwer rechtfertigen. Er ist nicht nur in der Anschaffung teuer, auch das schnelle DC-Laden strapaziert das Konto und wird wohl auch nicht billiger werden. Wer genauso schnell laden möchte, kann auch einfach zu einem halb so teuren Tesla greifen, aber das gilt ja bei Verbrennern genauso: Einen Panamera kauft man sich nicht, weil er auf der Langstrecke substanziell schneller als andere Limousinen wäre oder irgendein eigenes Killerfeature hat.

Es geht eher um die Ansammlung der Details, die in Summe einfach ein perfektes Auto bilden: die Verarbeitungsqualität, die bequemen und doch sportlichen Sitze, der wirklich gut gemachte künstliche Sound und nicht zuletzt natürlich der Imagefaktor, den das Porsche-Wappen auf der Haube mit sich bringt  - all das motiviert die Porschefahrer, so viel Geld auszugeben. Dieser Wagen fällt immer und überall auf – nicht, weil er besonders laut oder protzig ist, sondern einfach, weil er richtig schön ist.


Für die Autobahn, nicht die Rennstrecke

Wer aus den genannten Gründen sein Elektroauto unbedingt bei Porsche kaufen möchte, damit aber nicht auf die Rennstrecke, sondern hauptsächlich Kilometer fressen will, macht mit dem Basis-Taycan nichts verkehrt, in Sachen Reichweite ist dieses Modell sogar die beste Wahl. Ein weiterer Vorteil von Porsche: Man muss ansonsten keine weiteren Abstriche in Kauf nehmen, der Konfigurator erlaubt (fast) alles, sodass man sich jedes Extra individuell dazukaufen kann (beispielsweise die aktive Wankstabilisierung, die den Wagen in jeder Kurve wie magnetisch an der Fahrbahn kleben lässt und für mich immer noch an Zauberei grenzt). In Sachen Fahrspaß hängt auch der kleinste Elektro-Porsche die meisten Konkurrenz-Modelle ab.